Thread: Kinder im Musikunterricht
Es gibt hierzulande Standards für den Füllstand von Milchflaschen, Normen für Papierformate und -gewichte und Bestimmungen für den Krümmungsgrad von Gurken und Bananen, die in der Europäischen Union verkauft werden. Aber gibt es auch ebenso strenge, minutiös kontrollierte Regeln für kindgerechte Unterrichtsmethoden? Natürlich nicht. Selbstverständlich werden Lehrkräfte in Deutschland gut ausgebildet und müssen sich an Lehrpläne halten. Doch genauso wahr ist, dass wir wenige Einblicke darüber haben, was hinter geschlossenen Klassentüren geschieht. Vielen – hoffentlich den meisten – Lehrerinnen und Lehrern gelingt es, motiviert und mit Freude Inhalte zu vermitteln. Aber das nicht gerade für seine Fortschrittlichkeit bekannte deutsche Schulsystem hat sicher auch heute noch die ein oder andere Schikane parat. Ob das Vorsingen einzelner Kinder vor der versammelten Klasse dazugehört, diskutierte die Twitteruserin @CarolineNordhe1 mit ihren Follower*innen im folgenden Thread.
Kinder im Musikunterricht einzeln vor der Klasse vorsingen lassen und dann bewerten. Was soll diese Bloßstellung?
— Caroline Nordheim (@CarolineNordhe1) March 21, 2022
Begründung des Lehrers war übrigens, dass gemeinsames Singen ja wegen Corona nicht erlaubt sei. Aber das kann ja dann auch nicht die Lösung sein.
— Caroline Nordheim (@CarolineNordhe1) March 22, 2022
So reagierten andere User*innen:
Ist das Vorsingen noch zeitgemäß? Unterscheidet es sich von anderen, ebenso unbeliebten Übungen wie dem Vorturnen am Barren, Vorrechnen an der Tafel oder dem Gedichtaufsagen unter den ungnädigen Augen von Klassenkameradinnen und Klassenkameraden? Kann man das Singen überhaupt lernen? Diese Fragen wurden von Twitter-User*innen diskutiert. Wir haben wie üblich die besten Kommentare für euch zusammengefasst.
Das war für mich früher der Horror schlechthin!#DerApotheker 🥷
— #DerApotheker 🥷 (@ApothekerDer) March 22, 2022
Angst ist eine schlechte Lehrerin
V.a. wenn man aber gleichzeitig nicht beibringt, wie man singt.
— Constructive Amuse (@ConstAmusement) March 22, 2022
Ich war auch an einem musischen Gymnasium. Vorsingen war da zwei mal pro Jahr pflicht. Aber in 9 Jahren habe ich nicht ein einziges Mal irgendeine Hilfestellung, einen Tipp oder irgendwas bekommen, wie ich besser singen könnte. Es wurde einfach nur demonstriert, ob man es kann.
— Constructive Amuse (@ConstAmusement) March 22, 2022
Später hab ich dann in meinem Jugendverband plötzlich entdeckt, dass ich tatsächlich singen kann, als ich von einem anderen, der sehr musikalisch war, plötzlich Anleitung bekommen habe – siehe da, war ich ein tauglicher Bass für einen Chor.
— Constructive Amuse (@ConstAmusement) March 22, 2022
Kann man das Singen überhaupt erlernen?
Zumal „Singen“ ein Talent ist. Man hat es, oder man hat es nicht. Für so etwas kann man nicht lernen wie für einen Vokabeltest.
— Jesus von Hartzareth (@jesusvonhartzi) March 22, 2022
Ein klares Jein. Man kann ein gutes Gehör für Klang hab und eine gefällige Stimmfarbe das schon. Aber das Singen an und für sich kann jede:r lernen. Es ist viel Technik dabei (ca. 90%) die auch die ‚talentiersten‘ Sänger:innen an irgendeinem Punkt mühsam einstudieren müssen.
— Das singende Bandwichtl (@vorsaenger) March 23, 2022
Das hat wohl mehr geschadet, als geholfen
Ich war im Schulchor, hab ich geliebt.
Wenn aber Mitschüler im Unterricht vorsingen mussten, hab ich das als sehr schlimm und demütigend empfunden und unsere Musiklehrerin dafür gehasst.
— Pii (@FrauPii) March 22, 2022
In diesem Fall ging wohl alles schief
Besonderer Kick: Das ganze im Stimmbruchalter der Jungs machen.
Wer stockte oder bei wem die Stimme brach: Von vorne beginnen mit Kommentar wie „dumm“ man sei.
Ich hatte Glück und war recht schnell durch,andere sangen 30min.— Philipp Polster (@philaroundthew1) March 22, 2022
In einer höheren Klasse sind wir dann einfach fast alle angetrunken erschienen.
Gut 70% der Klasse hatte einen sitzen.
Die Lehrkraft ist eskaliert,hat versucht uns alle reinzureiten.
Es kam raus,dass selbst in Bayern vorsingen in der 10ten Klasse nicht mehr vorgesehen war…— Philipp Polster (@philaroundthew1) March 22, 2022
Es kommt eben auch auf die Lehrkraft an
Das ist kein Problem, wenn es in ein pädagogisches Gesamtkonzept eingebettet ist.
Und… die meisten Kinder können sehr gut singen – v.a., wenn L das gut eingeführt haben.Ich denke, hier ist das Problem der L, der mit einem tollen didaktischen Tool nicht umgehen kann.
— Isabel Ruland (@IsabelRuland) March 22, 2022
Habe auch Musik unterrichtet. Um diese Stresssituationen zu vermeiden und trotzdem dem Lehrplan zu genügen, habe ich gute Sänger*innen mitsingen lassen. Das hat den Kindern Spaß gemacht und es wurden lauter gute Bewertungen. Wichtig ist, dass Kinder singen, egal wie!
— Silvia Malyevacz-Winderlich (@malyevacz) March 22, 2022
Ich habe den Schülern immer gesagt, sie dürfen allein singen, müssen aber nicht. Die allermeisten haben zu 2t oder 3t vorgetragen. Einer wollte gar nicht, daraufhin durfte er allein mit mir im getrennten Zimmer. War völlig in Ordnung so. So würde ich es weiter machen.
— 🌈Musikantin für Ukraine 🇺🇦 (@SvetK74) March 22, 2022
Hier gilt das Prinzip „Bockspringen“ – einmal und nie wieder
Das geht gar nicht! Vorsintflutliche Pädagogik auf Angstbasis und so bringe ich garantiert viele Menschen dauerhaft vom Singen ab. Ätzend.
— Schnauz (@Schnauzzwo) March 22, 2022
Empathie ist das Stichwort
Würde ich als Musiklehrerin nie drauf kommen. Habe das aber in meiner eigenen Schulzeit auch erlebt. Fand es nicht schlimm, da ich singen konnte, aber für diejenigen, die das nicht beherrschten, war es nicht so schön. Die Lehrkraft macht sich die Notenfindung zudem sehr leicht.
— Chrissy versteht die Welt nicht mehr. (@Chrisbowsky) March 22, 2022
Fazit:
Es wäre viel damit erreicht, wenn wir uns darauf einigen können, dass Menschen am besten und nachhaltigsten in einer angstfreien, inspirierenden Umgebung lernen. Schaffen Lehrkräfte es, sich auf die emotionalen Bedürfnisse der ihnen anvertrauten Kinder und Jugendlichen einzulassen, gelingt es ihnen wahrscheinlich auch, musikalische Fortschritte zu erzielen und vor allem Spaß am Singen zu vermitteln. Sind sie dazu allerdings nicht bereit, richtet Vorsingen vermutlich mehr Schaden als Nutzen an und verdirbt auch die Freude an der Musik.
In der größten Not, könnt ihr auch hiermit überzeugen: