Thread: Warum Prenzlauer Berg so ausschaut, wie es ausschaut
Man lernt nie aus, oder? In unserem heutigen Thread erklärt Euch Tobias Blanken aus Berlin, was es mit der markanten Architektur Berliner Gründerzeitbauten auf sich hat und wie der Kapitalismus sich auch hier verewigt hat. Also, Augen auf beim nächsten Berlin Besuch und den Klugscheißermodus auf die höchste Stufe stellen!
Was ihr hier seht, ist ein typischer Berliner Arbeiterquartier-Gründerzeitbau (Kastanienallee/Prenzlauer Berg). Und ich erzähle euch jetzt mal, warum er so aussieht, wie er aussieht.
— Tobias Blanken (@Tobias_B) November 7, 2018
Berlin war 1848 mit rund 400.000 Einwohnern noch kleiner als Wien, 1905 wurde dann die 2-Millionen-Marke durchschlagen, 1920 näherte man sich mit dem Groß-Berlin-Gesetz der 4-Millionen-Marke an, wodurch die Stadt (nach London & NYC) die drittgrößte der Welt wurde.
— Tobias Blanken (@Tobias_B) 7. November 2018
Nahezu eine Verzehnfachung der Bevölkerung in acht Jahrzehnten; ein heute doch eher unvorstellbares Wachstum, man hat die Stadt innerhalb kürzester Zeit aus dem Boden geknüppelt.
— Tobias Blanken (@Tobias_B) 7. November 2018
Und geknüppelt wurde nach dem Hobrecht-Plan von 1862, mit dem auf dem Reißbrett neues Land durch Straßen erschlossen wurde, an denen private Bauherren dann ihre Gebäude (in den Arbeiterquartieren zumeist Mietskasernen) bauen durften.
— Tobias Blanken (@Tobias_B) 7. November 2018
Dabei war man – Preußen! – knauserig, weshalb die Erschließungkosten für die öffentlichen Straßen auf die privaten Bauherren umgelegt wurden. Dummerweise jedoch nicht entsprechend der (Gesamt-)Grundstücksgröße, sondern entsprechend der Breite des Vorderhauses an der Straße.
— Tobias Blanken (@Tobias_B) 7. November 2018
Fette Profite winkten den privaten Bauherren daher vor allem dann, wenn diese hinterm Vorderhaus noch ordentlich Hinterhöfe mit möglichst vielen Hinterhäusern errichten konnten.
— Tobias Blanken (@Tobias_B) 7. November 2018
Ab 1871 (denkwürdiges Jahr, btw.) kam dann noch ’ne neue Bauordnung für Berlin hinzu. Die ist recht kurz und stellt im Kern eigentlich ’ne Brandschutzverordnung dar. (.pdf) https://t.co/ibsK5V3V39
— Tobias Blanken (@Tobias_B) 7. November 2018
Brandschutz, weil der Staat langsam so etwas wie ’ne Fürsorgepflicht entwickelte. Und – vor allem – weil Feuer gerade in dicht bebauten Gegenden der Mercedes unter den externen Effekten ist. Fackelt ein Haus ab, fackeln gerne auch die umliegenden Häuser ab. Scheiße.
— Tobias Blanken (@Tobias_B) 7. November 2018
Entsprechend wurde durch die Bauordnung festgelegt, dass die Häuser nur 22 Meter hoch sein durften – was an der Länge der vorhandenen Feuerwehrleitern lag. Eine Höhe, die dann aber nur zu gerne auch ausgereizt wurde.
— Tobias Blanken (@Tobias_B) 7. November 2018
Der Durchgang zu den Hinterhöfen musste mindestens 2,2 Meter breit und 2,5 Meter hoch sein, damit die Feuerwehr durchpasste. Um keinen Wohnraum zu verschenken, beließen es die privaten Bauherren dann aber häufig auch dabei.
— Tobias Blanken (@Tobias_B) 7. November 2018
Die Hinterhöfe mussten, damit die Feuerwehr rangieren kann, mindestens 5,3 Meter mal 5,3 Meter breit sein.
— Tobias Blanken (@Tobias_B) 7. November 2018
Do the math, bei 22 Meter hohen Gebäuden und 5,3 Meter breiten Hinterhöfen schien die Sonn‘ ohn‘ Unterlass, aber halt nur von 12 Uhr bis 5 Minuten nach 12, weshalb dort nachgebessert wurde: 60 Quadratmeter Mindestmaß waren ab 1887 vorgeschrieben.
— Tobias Blanken (@Tobias_B) 7. November 2018
Am geilsten sind aber die Erker am Vorderhaus, bei denen jetzt gerne „voll schön, romantisch blablabla blubbblubb, aww“ gedacht wird.
— Tobias Blanken (@Tobias_B) 7. November 2018
Die Baurordnung besagte schlichtweg, dass ab ’ner Höhe von 3 Metern über 1/3 der Vorderhausbreite bis zu einer Tiefe von 1,30 Metern Erker errichtet werden durfen.
— Tobias Blanken (@Tobias_B) 7. November 2018
Und die privaten Bauherren, immer schön auf Rendite aus, dachten sich da: „Sauber, so können wir noch ein paar Quadratmeter Wohnfläche über dem Bürgersteig, der uns noch nicht mal gehört, schinden.“
— Tobias Blanken (@Tobias_B) 7. November 2018
Das Grundprinzip des Gründerzeit-Bauens – die rudimentäre Bauordnung ausreizen, was das Zeug hält – dürfte jetzt wohl jeder verstanden haben; wenn mir wieder langweilig ist, erzähle ich dann was von Dichtevorteilen.
— Tobias Blanken (@Tobias_B) 7. November 2018