Er war immer da – nur nicht für mich

Als uns neulich die Geschichte von X-Userin @KunterbuntLeben über den Weg lief, kam uns sofort ein alter Bekannter in den Sinn: das Sprichwort „Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr!“. Und mal ehrlich, wir wollen uns gar nicht erst aufs hohe Ross schwingen und den Stab über andere Väter brechen – wir haben wirklich genug eigene Baustellen vor der Haustür.

Die Rolle des Vaters hat sich in den letzten Jahrzehnten ja auch einfach rasant gewandelt. Vor 40 Jahren galtst du schon als Prachtexemplar, wenn du genug Geld nach Hause geschleppt und auf Gewaltausbrüche verzichtet hast. Die Väter von heute hingegen sollen, im Idealfall, voll im Familienleben aufgehen und sich Verantwortung und Haushalt brüderlich (oder besser gesagt: partnerschaftlich) mit den Müttern teilen. Dass dieses Vorhaben in der Praxis oft grandios scheitert, können wir aus erster Hand bezeugen. Zu tief sitzen die Bilder und Rollenverteilungen aus unserer eigenen Kindheit, die sich mit dem modernen Familienalltag nur schwer vereinbaren lassen. Und trotzdem strampeln wir uns ab, um all diesen Ansprüchen irgendwie gerecht zu werden.

Dass wir mit diesem täglichen Spagat nicht alleine sind, beweist auch die folgende Geschichte. Darin lässt eine Tochter zum Vatertag die Beziehung zu ihrem Papa ziemlich eindrücklich Revue passieren. Eine ernste Erzählung, die uns wirklich nahegegangen ist – aber überzeugt euch doch selbst!

 

Am Vatertag denke ich oft an meinen Vater und wie er mein Leben geprägt hat. Meine frühsten Erinnerungen sind wie er Samstags auf mich aufpasste während meine Mutter arbeiten musste. Er sprach damals mit mir polnisch. Ich verstand ihn, antwortete aber nicht

 

Irgendwann hörte er damit auf. Ich habe die Sprache nie gelernt. Die nächste Erinnerung kommt aus dem Kindergarten. Ich sitze dort. Alleine. Alle Kinder sind weg. Mein Vater nicht da. Er hat mich vergessen. Schon wieder. Die Erzieher rufen meine Tante an. Ich hoffe sie

 

kommt vor ihm an. Ich bin lieber bei ihr. Mein Vater kommt aber. Null Unrechtsbewusstsein. ER hat nichts falsch gemacht. Was machte mein Vater wenn er zu Hause war? Er telefonierte. Viel. Sehr viel. Ohne Flatrate. Und wir hatten richtig hohe Telefonrechnungen.

 

Auch hier kein Schuldbewusstsein. Er brauchte das nicht beruflich. Es war sein Hobby. Er machte sich darüber wichtig. In der Zeit in der er zu Hause war verwüstete er auch die Zimmer. Er kochte, wusch aber nicht ab. Er lies es stehen für meine Mutter ...

 

die nach einem 8 Stunden Tag das noch aufräumen konnte. Weil er sich aus dem Staub machte sobald sie die Tür rein kam. Und erst irgendwann wieder kam. Ich hörte sie danach immer wieder streiten. Mein Vater arbeitete auch. Immer wieder mal, dann nicht, dann wieder

 

In der Zeit in der mein Vater arbeitete, war ich oft bei meiner Tante. Das war die schönste Zeit für mich. Und sie wurde mir näher als meine Eltern. Was mir für meine Mutter bis heute leid tut. Meine Mutter sagte selbst, dass wir uns so fremd waren und uns

 

in ihrem Urlaub erstmal an uns gewöhnen mussten. Das prägte mich dahingehend, dass ich unbedingt eine lange Elternzeit genommen habe und die Kinder nicht lange in der Betreuung waren bzw. auch nicht sind.

 

Die nächsten Erinnerungen an meinen Vater sind wie er in die Wohnung stürmte und duschte. Meine Mutter und ich fertig angezogen und schon lange auf ihn wartend. Er brauchte dann noch eine halbe Stunde bis er fertig war. Das eine mal kamen wir direkt vor der Braut an

 

Das andere Mal hatten wir die Hochzeit verpasst. Er hatte das Auto, wir hätten nicht anders hin fahren können. Auch hier null Einsicht. Es gab keinen wichtigen Grund weshalb er zu spät kam. Ich hasse es wenn Menschen zu spät kommen. Und es bereitet mir Qualen .

 

... wenn ich merke, dass wir uns verspäten werden, gerade wenn es von jemand anderem ausgeht. Ich habe keine Erinnerungen daran, dass mein Vater bei Schulfesten, Aufführungen oder Kindergeburtstagen dabei war. Ich kann mich aber daran erinnern, dass mir ein Foto ...

 

... in die Hand viel. Aus einem Vergnügungspark. So eins das während der Fahrt aufgenommen wird. Da saß er mit Bekannten und deren Kinder drin. Ohne mich. Das war der Zeitpunkt als das Kind in mir gebrochen ist. Als ich meinen Vater abschrieb. Ich war 9 Jahre alt.

 

Seitdem legte ich mich mit meinem Vater an. Sagte ihm klar meine Meinung und er eskalierte richtig. Es dauerte noch bis meine Mutter sich von ihm lösen konnte. Aber es war danach sehr befreiend. Danach ging es uns gut. Sie blühte endlich auf.

 

Heute ist mir bewusst, dass er ein Narzisst ist. Er kann Leute so einlullen, dass ihn alle für einen tollen Kerl halten. War er auch. Für sie. Er half ihnen beim Tapezieren, während er meine Mutter damit bei uns zu Hause allein ließ. Er kam und ging wann er wollte.

 

Bis heute wissen meine Mutter und ich nicht was er alles gearbeitet hat. Wenn er Lust hatte, dann kamen irgendwelche Freunde von ihm zu Besuch und übernachteten einfach. Wer das nicht akzeptierte, der war unhöflich. Er drehte immer alles um. Er war immer richtig.

 

Normalerweise hätte ich den Kontakt abbrechen müssen. Aber bis heute kann ich es nicht. Klar lasse ich ihn nicht mehr über mich und meine Familie bestimmen. Aber ich bin immer angespannt.

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