„Wenn ihr mitbekommt, wie arme Menschen gedemütigt werden …“

Max Kilian 06.11.2024, 6:25 Uhr

Unser Alltag in diesem Land wird immer teurer und teuer. Das dürften in unserem vermeintlich reichen Deutschland mittlerweile nahezu alle Bürgerinnen und Bürger mitbekommen haben. Ja, auch diejenigen, die von ordentlichen Preissteigerungen bei den Produkten des täglichen Bedarfs so gut wie nicht betroffen sind. Leider ist es nun häufig so, dass Menschen, die sich keinerlei (finanzielle) Sorgen darüber machen müssen, ob sie im nächsten Monat noch ein Dach über dem Kopf haben oder was sie ihrer Familie morgen auf den Esstisch stellen sollen, die Fantasie fehlt. Die Fantasie, sich vorzustellen, wie es diesen Menschen mit ihrer Armut eigentlich geht. Die Fantasie, sich in sie hineinzuversetzen. Ihre Ängste, Nöte und Verzweiflung zu spüren – und zu verstehen, wie wichtig Solidarität in diesen Zeiten ist. Der folgende Thread von @BaharAslan_ erzählt von einem Erlebnis im Supermarkt, das auf beschämende Art und Weise exakt diese Thematik bzw. Problematik im gesellschaftlichen Umgang miteinander offenbart.

Wenn ich die freie Entscheidung hätte, würde ich einigen Menschen gerne einen „Nackenklatscher“ verpassen.

Ich stehe an der Kasse. Vor mir steht ein älterer Herr, der mit seiner Frau ebenfalls seine Sachen auf das Band gelegt hat. 47,80 Euro beträgt sein Einkauf. Er hat aber…

…nur knapp 45,00 Euro dabei. Er entschuldigt sich vielmals und sagt, dass seine Rente diesen Monat nicht gereicht hat. Hastig versucht er zu entscheiden welche Waren er zurückgeben kann, um unter die 47,80 Euro zu kommen. Man merkt ihm und seiner Frau an, dass die Situation…

…für sie unangenehm ist. Hinter mir steht ein weiteres Pärchen, vielleicht Mitte 30, die sichtlich genervt sind, weil sie ja heute noch zum Barbecue einer Freundin eingeladen sind und noch so viel erledigen müssen. Dann sagt der Mann ganz laut:“Wer bei Rewe einkaufen will,…

…sollte sich das vielleicht auch leisten können.“ - Das alles passiert in wenigen Sekunden und ich merke wie ich aggressiv werde, weil mich das an die Zeit zurückerinnert wie ich mit meiner Mama Büros geputzt habe und dafür von genau solchen Typen ausgelacht wurde.

Ich drehe mich zu ihm um und möchte am liebsten mit meiner ******. Ich bin keine gewalttätige Person, aber in diesem Moment war das mein einziger Wunsch. Ich kann mich noch beherrschen, aber meine Stimme wird sehr laut. Erst nachdem ich ihn…

…so richtig „rasiert“ habe, drehe ich mich zu dem älteren Paar um und biete Ihnen an den gesamten Einkauf zu übernehmen. Sie lehnen mehrmals ab und am Ende einigen wir uns drauf, dass ich zahle und wir unsere Kontaktdaten austauschen, damit sie den Betrag eines Tages…

…überweisen können. Der ältere Herr bedankt sich vielmals und verspricht mir, dass er nächsten Monat das Geld wieder zurückgeben wird. Ich verneine und sage, dass er das nicht machen muss und ich es ihm vom ♥️ gönne.

Das junge Paar hinter mir versucht die Fassung zu wahren und als sich unsere Blicke treffen, nehme ich sie nochmal so richtig auseinander, damit sie nie wieder auf die Idee kommen Menschen herabwürdigend zu behandeln.

Wenn du selbst im sozialen Brennpunkt als Kind armer Eltern aufgewachsen bist, triggern dich solche Situationen. Ich weiß noch wie mal mein Vater ausgelacht wurde, weil er Schuhe anhatte, die Löcher hatten. Er konnte sich zu der Zeit keine neuen Schuhe leisten.

Liebe Leute, wenn ihr Menschen begegnet, die ihren Einkauf nicht bezahlen können, was in Zukunft öfter passieren wird, so bietet ihnen eure Hilfe an. Wenn euer monatliches Einkommen es zulässt, zahlt den kompletten Einkauf oder den Differenzbetrag.

Was noch viel wichtiger ist: Solidarisiert euch bitte mit Menschen, die in Not geraten sind. Wenn ihr mitbekommt wie arme Menschen gedemütigt werden, bitte erhebt eure Stimme und lasst diese Menschen nicht alleine. Gerade in diesen Zeiten ist der gesellschaftliche Zusammenhalt…

…von uns allen, wichtiger denn je. 

Danke! ♥️

Kommentare und Reaktionen:

Der Bericht aus dem Supermarkt sorgt in der Community durchaus für Diskussionen. Wir haben daher die treffendsten Reaktionen und Kommentare von anderen Leserinnen und Lesern für euch zusammengetragen.

Fällt das nur uns auf oder geben häufig diejenigen, die selbst an wenigsten haben, am meisten?

Dein Verhalten finde ich großartig. Ich habe selber schon Menschen in solchen Situationen erlebt und es tat mir selber immer gut, wenn ich mit einem kleinen Differenzbetrag aushelfen konnte auch wenn ich selber Armutsbetroffen bin.

Klingt nach einer wunderbaren (und leider weit entfernten) Gesellschaft

Mir hat mal beim Bäcker 1 Euro gefehlt; Kartenzahlung ging nicht. Sofort hat ein junger Mann mir 1 Euro gereicht. Ich hatte in der Jackentasche noch einen Euro, deshalb habe ich ihn doch nicht gebraucht. Er meinte: „Sollte normal sein, dass man sich hilft.“ Klasse Einstellung!

Nicht alle müssen so reagieren wie ich. Auch kleine Gesten können viel bewirken. ♥️

War so ähnlich auch bei uns ganz vorne mit dabei

Mein erster Gedanke bei "Wer zu Rewe geht …" war: "Und wer unter Menschen geht, sollte kein Arschloch sein".

Danke für Dein Engagement!

Dieses unsägliche „Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht“

Musste mich letztens an 8 Menschen nach vorne quetschen um einer Frau 20ct zu geben, die sie mir auf dem Parkplatz wiedergeben wollte.
Digga da kommt niemand auf die Idee das springen zu lassen, lieber genervt es Gestöhne 
Hasse diese Gesellschaft

Der Bericht eines Betroffenen

Ich habe selbst fast in Armut gelebt. Ich bin mit 16 von Zuhaus ausgezogen weil es meine Eltern sehr stresste mit mir zusammenzuleben. WG-Zimmer in einem alten Forsthaus. Strom und Ofenheizung gabs. Ich musste immer jeden Einkauf gut überlegen. Manchmal bin ich dann direkt zu 1/2

den Bauern der Umgebung gefahren um dort Kartoffeln, Wurzeln und Steckrüben zu kaufen. Die Preise waren deutlich niedriger als heute. Trotzdem gab es immer zum Ende des Monats hin Engpässe. Ich habe neben der Schule her gearbeitet. Das musste reichen. Wenn ich heute auf 2/3

Menschen treffe die so großspurig daherreden, kann ich Ihre Reaktion nur allzu gut verstehen. Es kommt einer Verwahrlosung gleich, was armen Menschen so vorgeworfen wird. Ich selbst gehe nicht einkaufen weil ich einfach nicht genug Zeit habe und mich da auf meine Frau stütze. 3/4

Ich habe sie aber gebeten es Ihnen gleich zu tun wenn sie soetwas erlebt. Das ist bisher 2x vorgekommen. Es sind größtenteils eher ältere Leute die mit der ihnen geblibenen Altersvorsorge nicht klar kommen. Wenn wir endlich eine gerechte Grundversorgung aller Bürger hätten 4/5

würden wir hier nicht schreiben müssen. Es ist mittlerweile schwer geworden genau zu definieren warum es alles so ungerecht zugeht. Wir haben sehr Reiche Menschen, die auch durch ihren Lebensstil die Immobilienpreise und Mieten in eine Höhe getrieben haben, bei welcher die 5/6

bescheidene Lebensplanung gerade der heute in Rente befindlichen nicht mithalten kann. Die hatten keine guten Jobs und haben immer nur so knapp durch den Monat kalkuliert. Wenn ich dann die aktuelle Preisentwicklung sehe, kann deren Rente und das wenige Ersparte nicht reichen.6/7

Unsere Gesellschaft ist nicht in der Lage das zu kompensieren, weil polit. Kräfte es nicht wollen. Wir müssen diese bei zukünftigen Wahlen entsprechend abstrafen wenn wir genau das ändern wollen. Weder die Union noch die FDP hat dafür Ideen oder ist bereit welche zu entwickeln.

Wir schließen uns am Ende an

Danke für diesen Thread. Bin leider sicher, daß sich solche Situationen zukünftig öfter ereignen. Lasst uns hinschauen und helfen.

Wer nun die unterhaltsamen Momente des Einkaufens sucht, wird hier fündig:

Wir öffnen Kasse 2: Die abenteuerlichsten Anekdoten aus dem Supermarkt (1)

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