Ob Anne Will, Maischberger oder Hart aber Fair: Eigentlich ist es ganz egal, welche abendliche Talkrunde gerade läuft. Irgendeiner aus der Runde wird schon den „Fachkräftemangel“ in den Ring schmeißen. Da spielt es dann auch keine Rolle, ob es gerade (mal wieder!) um Flüchtlinge oder das Tempolimit geht. Der Twitteraccount @BriefeEines hat dazu – aus der eigenen Perspektive – einen interessanten und gleichzeitig auch sehr traurigen bzw. wütend machenden Thread geschrieben.
Fachkräftemangel? Ein Thread:
Fachkräftemangel
Ein Thread
Ich schreibe selten privates auf diesem Account, aber diese Begebenheit digitalisiere ich „gern“:
Ein Mann, Ende 40, verlor im November 2018 seine langjährige Anstellung als technischer Leiter eines mittelständischen Unternehmens.
— Briefe eines toten Mannes (@BriefeEines) 31. Januar 2019
Nicht weil er sich etwas zu Schulden komm lassen hätte, schlichtweg schlug der Neoliberalismus zu. Die komplette Abteilung wurde wegrationalisiert, aus Kostengründen.
Wer brauch schon versierte Techniker mit dazugehörigen QMS?— Briefe eines toten Mannes (@BriefeEines) 31. Januar 2019
Der Mann überlegte sich also wie es für ihn in einer strukturschwachen Region weitergehen könnte. Arbeit für seine Qualifikation gab es nicht. Die Agentur für Arbeit behauptete natürlich das Gegenteil, bot dem Mann aber nicht eine vergleichbare Stelle an. Wie auch, es gab keine.
— Briefe eines toten Mannes (@BriefeEines) 31. Januar 2019
So entschloss sich der Mann also, auf seine alten Tage, noch mal durchzustarten und obwohl er mit seinen Qualifikation gutes Geld verdienen könnte, noch mal eine neue Ausbildung zu beginnen.
— Briefe eines toten Mannes (@BriefeEines) 31. Januar 2019
Er kümmert sich also jenseits der Agentur für Arbeit um einen Platz an einer Fachschule (die er selbst bezahlen muss) und fand auch recht schnell ein Unternehmen in dem er ab Mai diesen Jahres arbeiten könne um den Lebensunterhalt während der Ausbildung zu sichern.
— Briefe eines toten Mannes (@BriefeEines) 31. Januar 2019
Das Unternehmen war begeistert von der Idee des Mannes und sichert ihm sofort nach Ausbildungsabschluss eine langjährige Anstellung und weitere Qualifikationen zu.
Anders sah es die Agentur für Arbeit.
Die ihn jetzt dazu nötigen möchte in einem Call-Center anzufangen.— Briefe eines toten Mannes (@BriefeEines) 31. Januar 2019
Dort werden gerade Unmengen von billigen Arbeitskräften gebraucht und die zuständige Arbeitsvermittlerin bezeichnete die Idee des Mannes als privates Vergnügen, schließlich ginge es darum den Mann langfristig in Arbeit zu bekommen.
Langfristig und Call-Center?
— Briefe eines toten Mannes (@BriefeEines) 31. Januar 2019
Der Mann über den ich hier schreibe bin übrigens ich, die Ausbildung um die es geht Sozialpädagogik, das Unternehmen eine gemeinnütziger Verein der mehrere Kitas betreibt und im Mai eine weitere in einem sozialen Brennpunkt eröffnen möchte.
Bis 2025 fehlen 300000 Erzieher!— Briefe eines toten Mannes (@BriefeEines) 31. Januar 2019
Warum Erzieher fehlen konnte ich heute lernen, es liegt wohl am Fachkräftemangel!
— Briefe eines toten Mannes (@BriefeEines) 31. Januar 2019
WoW! Vielen Dank für eure Anteilnahme! Habe nicht damit gerechnet. Bin ja nur ein Fall von vielen.
— Briefe eines toten Mannes (@BriefeEines) 1. Februar 2019
Was mich wütend macht ist nicht mein eigener Weg, den ich definitiv gehen werde, selbst wenn es zu Sanktionen meines ALG 1 kommen sollte, diese wurden mir ja gestern schon versteckt im Gespräch angedroht,
— Briefe eines toten Mannes (@BriefeEines) 1. Februar 2019
es ist ehr die Verhöhnung unserer Kinder und die Arbeit von tausenden Erzieher/innen, die mit schlechter Bezahlung (aber mit viel Leidenschaft) dafür sorgen das es erst Call-Center geben kann. Privatvergnügen ist sicherlich etwas anders.
— Briefe eines toten Mannes (@BriefeEines) 1. Februar 2019
Wenn Call-Center, die für ihr Subventionsnomadentum (Steuergelder) bekannt sind, einen höheren Stellenwert besitzen als eine Tätigkeit die der Gesellschaft zu Gute kommt, zeigt es mir den tatsächlichen Zustand des Systems. Dies werde ich nicht tolerieren.
— Briefe eines toten Mannes (@BriefeEines) 1. Februar 2019
Um euch also auf dem laufenden zu halten:
-Dienstaufsichtsbeschwerde ist raus
-Kontakt mit einen Journalisten ist aufgenommen
– Mobilisierung für Aktionen im echten Leben läuft an— Briefe eines toten Mannes (@BriefeEines) 1. Februar 2019
Ein Update:
Update:
Nach einem Freitag mit vielen Telefonate und den ewig gleichen Ausreden, in denen man auf (wie erwartet) den Gesetzgeber verwies, konnte ich am kommenden Montag einen Termin beim sogenannten Kundenreaktionsmanagment …
— Briefe eines toten Mannes (@BriefeEines) 1. Februar 2019
… (was für ein Wort, erinnert an Krisenreaktionskommando, BW) ergattern, persönliches Gespräch, hier vor Ort. Ich habe da ein paar Fragen die ich gerne von der Amtsleiterin beantwortet bekommen würde. Mal schauen was daraus wird.
— Briefe eines toten Mannes (@BriefeEines) 1. Februar 2019
Es ist mir eine Herzensangelegenheit, denn dieses Thema ist im Gegensatz zur politischen Polemik ein echtes Probleme in diesem Land, Verantwortung für die Zukunft übernehmen, anpacken, es wird höchste Zeit, denn wenn etwas Zukunft bedeutet, dann Kinder.
— Briefe eines toten Mannes (@BriefeEines) 1. Februar 2019
Eine Schande für ein Industrieland wie das unsere, in dem Milliarden in private Taschen verschwinden, steuerfrei, versteht sich von selbst, aber Pädagogen an Schulen und Kitas ein Kampf gegen Windmühlen führen müssen.
Ein schönes WE für euch und nochmals Danke an alle!
— Briefe eines toten Mannes (@BriefeEines) 1. Februar 2019
Das Update nach dem Gespräch:
Update:
Nach einem Gespräch gestern und einem Gespräch am heutigen Tag, mit Führungskräften meiner zuständigen Agentur für Arbeit, konnte keine Lösung für diesen, wie man es nannte, „Sonderfall“, gefunden werden.— Briefe eines toten Mannes (@BriefeEines) 5. Februar 2019
Der Ordnung halber erwähne ich noch einmal: Es geht mir weder um eine staatliche Förderung meiner Ausbildung, noch um die Geringschätzung der Arbeit in einem Callcenter. Es geht um ein sogenannten Vertrag namens Eingliederungsvereinbarung und dessen wirklichen Zweck.
— Briefe eines toten Mannes (@BriefeEines) 5. Februar 2019
Die Agentur für Arbeit ( also der Staat ) sieht darin scheinbar oft ein Mittel, Druck auf Leistungsempfänger auszuüben. Die Nichtbeachtung einer Eingliederungsvereinbarung führt zu Sanktionen und damit zum Leistungsentzug.
— Briefe eines toten Mannes (@BriefeEines) 5. Februar 2019
Das ist aber nicht Sinn und Zweck dieser Vereinbarung. Wenn man aber den gesetzlichen Auftrag des Förderns ernst nimmt, erklärt sich, warum immer wieder diese Vereinbarungen von Sozialgerichten kritisch betrachtet werden und auch als rechtswidrig bezeichnet werden.
— Briefe eines toten Mannes (@BriefeEines) 5. Februar 2019
Mein Ziel ist es, aufzuzeigen wie tief der Neoliberalismus schon in die Dienstellen der Länder und des Bundes vorgedrungen ist, zumal jedem Arbeitsvermittler/in durchaus Spielraum für „Sonderfälle“ zur Verfügung steht.
— Briefe eines toten Mannes (@BriefeEines) 5. Februar 2019