Ein Weihnachtswunder
Es lebte einmal eine kleine Redakteurin im schönen Frankenland. Vor langer Zeit einmal (ziemlich genau vier Jahre) führte sie eine Beziehung. Doch für eine erste Liebesbeziehung enthielt diese viel zu viele Streitereien, noch mehr Tränen und unzählige nasse Taschentücher. Als das ganze Schlamassel dann auch noch ausgerechnet am Valentinstag – dem Tag der Liebe – in die Brüche ging, da schwor die Redakteurin den Männern ab.
Seit diesem Tag konzentrierte sie sich nur noch auf ihre Arbeit und andere Dinge, die ihr große Freude bereiteten. Von der Liebe wollte sie nichts mehr wissen, sie glaubte nicht mehr daran. Und was die Männer anging, da interessierte sie nur noch, ob diese in der Lage waren, ihre eigene Miete zu zahlen oder wie gut sie mit ihrer Zunge umgehen konnten. Doch manchmal, ganz selten nur, wenn die Redakteurin verliebte Pärchen spazieren sah oder beobachtete, wie liebevoll Menschen, die sich wirklich mochten, miteinander umgehen konnten, da spürte sie einen kleinen Stich im Herzen und hörte eine leise Stimme wispern: „Ich möchte, was sie haben!“
Eines Wintermorgens – es war ein Mittwoch, denn Mitte der Woche war immer Bürotag – trat die Redakteurin vor ihre Haustür und bemerkte verzückt, dass es geschneit hatte. Begeistert setzte sie ihre Füße in das frische Weiß und drehte sich einmal jauchzend im Kreis. Dann hüpfte sie in den Vorgarten und setzte – begleitet vom Geräusch knirschenden Schnees – einen Fuß vor den anderen. Schließlich ging sie ein paar Schritte zurück und begutachtete ihr Werk. In der weißen Oberfläche war gut sichtbar ein großes Schneeherz aus kleinen Fußspuren zu erkennen. Die Redakteurin grinste, aber dann plötzlich gefror ihr das Lächeln im Gesicht, als sie sich daran erinnerte, dass sie nicht mehr an die Liebe glaubte. Hastig stürzte sie in den Vorgarten und fügte ihrem Schneebild ein paar Fußspuren hinzu, damit das Herz schlussendlich aussah wie eine Katze. Dann begab sie sich zu ihrem Auto, um nicht zu spät zur Arbeit zu kommen.
Aus dem Radio dröhnte „Last Christmas“. Es hatte wieder zu schneien begonnen und der Scheibenwischer des kleinen schwarzen Autos befreite unaufhörlich das Sichtfeld der Redakteurin von den fröhlich umherwirbelnden Schneeflocken. Innerlich war die junge Frau erleichtert, dass sie es noch rechtzeitig vor dem ersten Schneefall in die Werkstatt geschafft und dafür gesorgt hatte, dass ihr Schätzchen auf vier Rädern noch neue – dem Wetter angepasste – Schuhe verpasst bekam. Die Straße war trotz der Winterreifen ziemlich rutschig und so tuckerten Auto und Frau gemächlich in Richtung Büro. Plötzlich sah die Redakteurin einen Hasen mitten auf der Straße sitzen und erschrak sich so sehr, dass sie tat, worüber jeder Fahrlehrer die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und ihr jede Führerscheinstelle den Lappen wieder abgenommen hätte: Sie trat heftig auf die Bremse und verriss das Lenkrad. Das kleine Auto geriet ins Schlingern, drehte sich auf der Straße, schoss auf die Spur des Gegenverkehrs, überschlug sich und landete schließlich laut krachend neben einem Baum im Graben. Die Redakteurin schaffte es gerade noch den Notruf abzusetzen. „Oh Gott, hoffentlich passiert ein Weihnachtswunder“, dachte sie, dann verlor sie das Bewusstsein. Im Radio verklang gerade die letzte Strophe von „Last Christmas“.
Als sie wieder zu sich kam, hörte die Frau eine beruhigende Stimme, die auf sie einredete. „Keine Panik, wir holen Sie da gleich raus. Wir sind von der Feuerwehr. Sie sind von der Straße abgekommen und Ihr Auto hat sich hier ganz blöd am Baum verhängt.“ Langsam schärften sich die Sinne der Redakteurin wieder und als sie den Blick hob, sah sie einen Feuerwehrmann auf dem Boden knien, der durch das zerbrochene Seitenfenster mit ihr sprach. Seine Augen waren so braun und treudoof, wie die des Teddys, der zu Hause auf ihrem Bett wartete. Solche Augen würden sie mit Sicherheit niemals belügen, davon war sie fest überzeugt. Die Redakteurin schloss die Lider und lauschte einfach der beruhigenden Stimme und den betörend schönen Worten, die diese Stimme von sich gab. „Alles wird gut, gleich haben wir Sie!“
Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis schließlich ein Paar starke Hände die Frau packten und aus dem Auto zogen. Der Feuerwehrmann mit den Bernstein-Augen hob die Frau hoch und trug sie durch den Schnee. Selbst durch die Uniform konnte die Redakteurin spüren, dass der Kerl Arme wie Baumstämme und Hände wie Schaufeln hatte. Ihr wurde schwindelig – und das lag sicher nicht daran, dass sie gerade einen Unfall gehabt hatte.
Es musste am Schock gelegen haben (anders konnte sie es sich nicht erklären), aber die Frau nahm ihren ganzen Mut zusammen und krächzte mit kratziger Stimme: „Wenn ich jetzt noch ihre Telefonnummer bekomme, dann glaube ich nicht nur an Wunder, sondern auch wieder an die Liebe!“ Der Feuerwehrmann gluckste leise und die Redakteurin spürte, wie seine Brust bei jedem Lacher sanft vibrierte. „Wir schauen mal, ob wir einen Stift organisiert bekommen!“, zwinkerte er ihr zu. Als sie beim Rettungswagen angekommen waren, stürzten sich die Helfer auf die junge Frau, tasteten sie hier ab, untersuchten sie dort. Obwohl ihr – wie durch ein Weihnachtswunder – nichts passiert war, nahmen die Einsatzkräfte sie zur Beobachtung mit ins Krankenhaus. Die Redakteurin war sehr traurig, weil sie den Feuerwehrmann vermutlich nie wieder sehen würde und keinen Stift zur Hand gehabt hatte, um sich seine Nummer aufzuschreiben.
Auch Stunden später saß sie noch frustriert im Krankenhausbett, starrte aus dem Fenster und dachte an die dunkelbraunen Teddyaugen. Plötzlich klopfte es an der Zimmertür und herein trat der Held in Uniform. In der Hand hielt er einen großen Strauß Blumen und einen Zettel. „Ich hatte dir doch meine Telefonnummer versprochen!“, zwinkerte er und die Redakteurin strahlte. Und vielleicht begann die junge Frau von da an wieder, an die wahre echte große Liebe zu glauben.
Hier kommt ihr wieder zurück zu den anderen Türchen: