Thread: Wir hatten keine Chance
Triggerwarnung: Dieser Beitrag behandelt Verlust, Trauer und Tod von Kindern.
Nicht jede Schwangerschaft endet für die Eltern mit einem gesunden Baby im Arm. Hin und wieder endet die große Nachwuchsfreude plötzlich in einer tiefen Trauer. Bis zu 3000 Sternenkinder gibt es jedes Jahr in Deutschland. So nennt man die kleinen Seelen, die viel zu früh aus unserer Welt scheiden. Sie besuchen dieses Leben nur für kurze Zeit, aber ihre Liebe und ihre Anwesenheit leben in den Herzen ihrer Eltern für immer weiter.
Für die Mütter und Väter ist der Verlust unendlich schwer zu ertragen. Sie sind von tiefer Trauer erfüllt und können oft nicht begreifen, warum das Schicksal so grausam sein kann. Eine intensive therapeutische Betreuung ist in dieser Situation empfehlenswert, denn der Verlust eines Kindes ist immer traumatisch. Für die Trauerbewältigung ist es für viele Eltern wichtig, dass sie sich die Zeit nehmen, ihr Kind kennenzulernen, ein Foto zu machen und ihm einen Namen zu geben. Nur so können sie am Ende auch wirklich den Verlust verarbeiten.
Sternenkinder zeigen uns, dass das Leben kostbar und zerbrechlich ist und dass wir jeden Augenblick schätzen sollten. Sie erinnern uns daran, die Dinge, die uns wirklich wichtig sind, nicht als selbstverständlich zu erachten und uns zu bemühen, jeden Tag glücklich zu sein. Sie zeigen aber auch, dass wir das Thema Kindstod nicht tabuisieren dürfen, denn es kann jedem von uns passieren. Darum geht es auch in dem nun folgenden Thread der Twitteruserin @Tine_Sommerkind.
Es gibt so Tage…🥺😞
Später Vormittag. Die Gyn gibt Bescheid, dass gleich eine ZwillingsSchwangere eingeliefert wird. Sie habe wohl Wehen, man wolle sie erstmal untersuchen, evtl Wehenhemmer geben – uns aber lieber schonmal informieren, da ca 24 SSW.
Wir erledigen weiter unsere— Tine.Sommerkind (@Tine_Sommerkind) January 7, 2023
Arbeit und richten vorsorglich schon mal 2 Plätze und Inkubatoren her. Man weiß ja nie.
Ca. 20 Minuten später der Alarm aus dem Kreißsaal: Notsectio.
Ich bin gerade fertig mit der Versorgung meines Patienten und eine Kollegin sitzt bei der Doku am Stützpunkt. Wir rennen mit— Tine.Sommerkind (@Tine_Sommerkind) January 7, 2023
den Ärzten in den Kreißsaal, treffen auf dem Gang das Team, welches die Frau auf einer Liege rennend in den OP schiebt. Wir bekommen nur kurz die Info 24+4SSW, ein Kind schon im Geburtskanal.
Meine Kollegin geht mit einem Assistenarzt und dem Oberarzt an einen Versorgungsplatz.— Tine.Sommerkind (@Tine_Sommerkind) January 7, 2023
Eine weitere Ärztin und ich nehmen die andere Versorgungseinheit. Wir richten uns in Windeseile alles steril her, was wir in den ersten Minuten brauchen könnten und hoffen, dass auch für „unser“ Frühchen gleich noch eine Oberärztin dazukommt.
Kind 1 wird entbunden und kommt auf— Tine.Sommerkind (@Tine_Sommerkind) January 7, 2023
die Einheit des anderen Teams. Es wirkt vital, etwas gestresst aber fängt an zu krächzen. Das Team startet die assistierte Maskenbeatmung, startet das Monitoring und etabliert einen peripheren Zugang, begrenzt das Kind mit warmen Tüchern.
Ich sehe durch die Scheibe in den OP.— Tine.Sommerkind (@Tine_Sommerkind) January 7, 2023
Die Gynäkologen bekommen das 2. Baby nicht entwickelt. Es ist schon so tief, dass es nicht einfach entnommen werden kann. Es fühlt sich quälend lang an, bis sie das Kind endlich entbinden können. Man sieht auf die Entfernung: dem Baby geht es nicht gut.
Es ist schlapp. Wird von— Tine.Sommerkind (@Tine_Sommerkind) January 7, 2023
der Hebamme schnell im warmen Tuch zu uns getragen. In dem Moment kommt endlich die Oberärztin in den Raum. Das Frühchen wird vor uns auf die warme Unterlage gelegt. Es hat viele Hämatome durch die schwierige Entwicklung. Keine Atmung, keine Bewegung. Die Ärzte kümmern sich um
— Tine.Sommerkind (@Tine_Sommerkind) January 7, 2023
die Beatmung, die Hebamme nimmt Blut über die Nabelschnur ab, ich bringe alle Sensoren an, um die Vitalparameter abzuleiten. Das Baby ist bradycard, die Herzfrequenz steigt nicht durch die ersten Hübe der Beatmung, wie es häufig der Fall ist.
Ich beginne die Herzdruckmassage.— Tine.Sommerkind (@Tine_Sommerkind) January 7, 2023
Die Hebamme kommt mit den Werten der Blutgasanalyse. Die Werte sind schlecht. Nicht mit dem Leben vereinbar.
Das Baby ist gegangen noch bevor es auf die Welt kam. Wir haben keine Chance es zurückzuholen, während das Geschwisterchen vital ist und gerade intubiert wird. Die Mama
— Tine.Sommerkind (@Tine_Sommerkind) January 7, 2023
liegt in Vollnarkose, der Papa ist mit dem privaten PKW auf dem Weg in die Klinik. Wir beenden die Maßnahmen, ich entferne die Monitorkabel, mache das Baby sauber, wickle es in frische Tücher, ziehe ihm ein Mützchen an und nehme das Bündel in den Arm. Halte sein Händchen,
— Tine.Sommerkind (@Tine_Sommerkind) January 7, 2023
beobachte wie das Geschwisterchen weiter versorgt wird, und bin unheimlich traurig. Wir hätten dir so gerne auch in das Leben geholfen.
Der Papa trifft ein, die Hebamme und die Neonatologin reden im Nebenraum mit ihm. Als ich ein Zeichen bekomme gehe ich mit in den Raum. Bringe— Tine.Sommerkind (@Tine_Sommerkind) January 7, 2023
ihm sein Kind. Er ist geschockt, aber auch unheimlich verliebt in sein Baby. Ich gebe es ihm in den Arm. Stolz, Freude und Trauer.
Er möchte alleine sein, ich gebe ihm eine Glocke, damit er bei Bedarf nach der Hebamme klingeln kann, spreche ihm mein Beileid und— Tine.Sommerkind (@Tine_Sommerkind) January 7, 2023
meinen Glückwunsch aus und verlasse den Raum.
Nachdem ich die Hebamme über die Absprache informiert habe, räume ich die Erstversorgungseinheit auf, putze sie und richte sie für den nächsten Einsatz her.Das Geschwisterchen macht sich richtig gut und wird gleich seinen Papa
— Tine.Sommerkind (@Tine_Sommerkind) January 7, 2023
kennenlernen, bevor es im warmen Inkubator eingekuschelt und in seiner Begleitung zu uns auf die Station gebracht wird.
Sobald die Mama aus der Narkose erwacht ist, wird auch sie zu uns auf die Station gebracht, um ihre Babys zu sehen🤍💜.#kinderintensiv #sternenkind— Tine.Sommerkind (@Tine_Sommerkind) January 7, 2023
Das sagen andere User:
Wir tun uns ein bisschen schwer, hier den passenden Schlusskommentar zu finden. Dieser Thread hat uns tief berührt und sprachlos gemacht. Daher lassen wir hier nun die Leserinnen und Leser zu Wort kommen.
Ja, das bieten wir immer an. Auch Fußabdrücke, Kleidung und Einschlagtücher, Taufe/Segnung und Besuch durch Familienmitglieder 🤍
— Tine.Sommerkind (@Tine_Sommerkind) January 7, 2023
Habe mein Zwillingskind leider in der 11. SSW verloren…es ist total schwer, diese Gefühle von Trauer & Freude gleichzeitig auszuhalten 😔
Aber es ist natürlich ein Geschenk, wenigstens ein Kind haben zu dürfen. ❤️❤️🩹— Frau S. (@DancingAlpaaca) January 7, 2023
Danke, dass Ihr das so leistet und dass Du uns so einfühlsam teilhaben lässt. Es ist eine furchtbare Vorstellung
— Ines L (@InesinBonn) January 7, 2023
➡️ der weiß das für diesen kleinen Menschen auch eine Tragödie passiert ist. Ganz abgesehen von der Frühgeburt. Es ist furchtbar.
Ich hoffe es geht noch gut aus für die Mutter und den lebenden Zwilling. Man kann euch für eure Arbeit gar nicht genug danken❤️— Nicole Wettmann 🇺🇦😷 (@WettmannNicole) January 7, 2023
Das ist so traurig. Ich wüsste nicht, wohin damit. 🖤❤️
— Herr Binschonda (@lucky_joe_on) January 7, 2023
Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit! Und weil wir gerade bei den Eltern von Sternenkindern sind, schaut doch hier noch rein, wenn ihr mögt: