Thread: Wenn der Notarzteinsatz eine plötzliche Wendung nimmt
Den Account von Emergency Doc aka @RMamarvar und einige seiner spannenden und sehr menschlichen Notarzt-Threads kennt ihr vermutlich schon, wenn ihr uns aufmerksam verfolgt.
Der nun folgende Beitrag hat uns auch wieder sehr berührt und zum Nachdenken gebracht. Danke an alle Notärzte da draußen, die sich solchen Situationen regelmäßig stellen müssen. Ihr habt unseren vollsten Respekt.
Thread:
Manchmal hat man einen #Notarzteinsatz, der eine so plötzliche und dramatische Wendung nehmen kann, dass selbst erfahrene und „abgebrühte“ Retter damit überfordert sind. Und damit meine ich nicht Spätfolgen wie #PTBS oder so sondern ganz konkrete Einsatzsituationen. 1/x— Emergency doc (@RMamarvar) December 8, 2019
Wir werden in der Woche abends mit RTW und NEF alarmiert zu „Säugling, 3 Monate, nicht ansprechbar“. Der Kindernotarzt, eine Spezialität unserer Stadt, wird mitalaramiert, wie immer zu solchen Einsätzen. Er wird aber eine Weile brauchen, bis eintrifft. 2/x
— Emergency doc (@RMamarvar) December 8, 2019
Da hinter diesem Stichwort so gut wie immer eine harmlose Situation steckt, sind wir auf der Anfahrt recht gelassen und unbekümmert. Wir treffen gleichzeitig mit dem RTW ein, und machen uns auf die Suche. Doch niemand ist vor Ort. Die Leitstelle ruft den Melder nochmal an. 3/x
— Emergency doc (@RMamarvar) December 8, 2019
Wir erfahren, dass die Eltern in ihrer Panik das Kind gepackt haben, und zur U-Bahn gelaufen sind, weil sie selbst ins Krankenhaus fahren und nicht mehr auf uns warten wollten. Die Station ist knapp 50m entfernt, also gehen wir auch zügig dorthin. 4/x
— Emergency doc (@RMamarvar) December 8, 2019
Mein Rettungsassistent verschwindet im Aufgang, und noch bevor ich da bin, kommt er mir schon entgegen gerannt. Ich gucke verwundert. Er ist ziemlich behäbig und so ein Tempo kenne ich sonst nicht von ihm. In den Armen hat er das Baby und seine Augen sind vor Panik geweitet. 5/x
— Emergency doc (@RMamarvar) December 8, 2019
Zum unmittelbaren Ziel und Mittelpunkt von Hoffnung zu werden ist ziemlich heftig und weniger cool, als manche glauben. Ich fühle förmlich die Last der Hoffnungserwartung auf meinen Schultern. Durchatmen, innerlich neu organisieren, jetzt geht’s wieder. Ich schaue ihn an. 6/x
— Emergency doc (@RMamarvar) December 8, 2019
Hinter ihm laufen die weinenden Eltern. Der RTW ist direkt neben mir, also bleibe ich stehen und nehme ihm das Baby aus den Armen. Aschgraue Haut, keine Atmung, keine Lebenszeichen. Ich gebe ein paar Atemspenden, während der RTW aufgeschlossen wird, und gehe sofort hinein. 7/x
— Emergency doc (@RMamarvar) December 8, 2019
Ich beginne sofort mit der Wiederbelebung, und bis nach 10 Minuten der Kindernotarzt da ist, habe ich bereits intubiert, einen Zugang liegen und die ersten Medikamente gegeben. Nach weiteren 5 Minuten beginnt das Herz wieder zu schlagen, und wir beginnen den Transport. 8/x
— Emergency doc (@RMamarvar) December 8, 2019
Nach dem Einsatz merke ich meinem Fahrer die Belastung an, er mag aber nicht darüber reden. Altes Eisen und so. Wir reden etwas belangloses Zeug, oft ergeben sich daraus tiefere Gespräche. Diesmal aber nicht. Irgendwas sitzt bei ihm ziemlich quer. Also fange ich an. 9/x
— Emergency doc (@RMamarvar) December 8, 2019
„Krass, ich dachte erst, das wär bloß wieder ein Anruf überbesorgter Jungeltern.“ sage ich. Er schweigt. „Manchmal steckt halt auch bei den Standard-Nix-Stichworten was ernstes dahinter.“ fahre ich fort. „Der war nur halb so alt wie meine Tochter.“ bricht es da aus ihm raus. 10/x
— Emergency doc (@RMamarvar) December 8, 2019
Achja, er ist vor kurzem sehr spät nochmal Vater geworden. Siedend heiß erinnere ich mich. „Wie geht’s Dir?“ werde ich sehr direkt. „Die hatten eine Decke im Bettchen, das Baby lag mit dem Kopf darunter.“ sagt er. „Wie konnten die bloß…“
Jetzt verstehe ich ihn. 11/x— Emergency doc (@RMamarvar) December 8, 2019
Er gibt den Eltern die Schuld und überträgt das ganze auf sich. ‚Was könnte passieren, wenn ich eine Decke für mein Kind benutze‘ oder ähnliche Gedanken gehen ihm durch den Kopf. Er steckt mittendrin, emotional und mit Schuldgefühlen. Die Eltern hatte er im NEF mitgenommen. 12/x
— Emergency doc (@RMamarvar) December 8, 2019
Die ganze Fahrt haben sie sich Vorwürfe gemacht wegen der Decke, das hat an ihm gezehrt. Zum Glück hat er gleich Feierabend. „Ich kuschel gleich erstmal mit meiner Tochter.“ sagt er, als er geht. Ich gönne es ihm, es wird ihm gut tun. Auch ich nehme meine Kinder in den Arm. 13/x
— Emergency doc (@RMamarvar) December 8, 2019
Zwar erst am nächsten Tag nach dem Kindergarten, aber ich lasse mir ausführlich erzählen, wie lecker die Nudeln waren, warum es doof war, daß Jule die Schaufel geklaut hat und wie toll das Schaukeln mit Lukas war. Und ich denke an Thomas, der es am Ende nicht mehr geschafft hat.
— Emergency doc (@RMamarvar) December 8, 2019
Nur ergänzend: natürlich ist es gegen die Empfehlungen, Babys mit Decke schlafen zu lassen, aber den Eltern die Schuld zu geben ist trotzdem falsch. Niemand macht sowas boshaft, der kleine Thomas starb nicht, weil er unter der Decke erstickt wäre. Der Rest ist Hippokrates. RIP ❤
— Emergency doc (@RMamarvar) December 8, 2019