Thread: Was Lokführer:innen täglich leisten müssen
Seit dem Wochenende rollt die zweite Streikwelle der Lokführergewerkschaft GDL durch das Land. Seit Samstag steht ein Großteil des Güterverkehrs still, seit Montag der öffentliche Nah- und Fernverkehr. Wegen der Coronapandemie und der Sommerferien fällt das Verständnis in der Bevölkerung für streikende Lokführer schwerer als ohnehin schon. Viele Menschen mussten finanzielle Einbußen hinnehmen, verloren ihren Job oder sogar ihre Existenzgrundlagen. Die hohen Zahlungen der Bahn-Führungskräfte, die in der Pandemie zu ihrem festen Gehalt auch noch großzügige Boni kassiert haben, sind im Gegensatz dazu bislang kaum Thema gewesen und wären es auch nicht, wenn es die Streiks nicht gäbe. Der Knackpunkt an der Sache ist, dass Boni ja eigentlich nur für eine gute bis sehr gute Bilanz der Deutschen Bahn gezahlt werden. Davon kann aber seit Beginn der Pandemie gar keine Rede mehr sein. Die Beschäftigten, die auch in der Pandemie ohne Pause gearbeitet haben, werden von der Bahn-Führung hingegen weniger großzügig behandelt. Die Lokführer sollen nicht einmal einen Inflationsausgleich erhalten. Aber was machen Lokführerinnen und Lokführer eigentlich den ganzen Tag? Sind ihre Forderungen für „das bisschen Knöpfedrücken“ überhaupt gerechtfertigt? Kann das nicht sowieso bald eine Maschine machen? Die wenigsten Menschen haben eine Ahnung, was in diesem Beruf geleistet werden muss. Und weil das so ist, hat die ehemalige Lokführerin @Marisee_Stella einen Thread über ihre Arbeit bei der Hessischen Landesbahn geschrieben, in der Hoffnung, dass es dem einen oder anderen die Augen öffnet, warum man mehr Solidarität mit streikendem Bahnpersonal haben sollte.
Ich war als Lokführerin bei der Hessischen Landesbahn tätig. Manchmal musste ich um 02:30 Uhr morgens anfangen. Im Winter. Heißt bei Dunkelheit durch die Abstellgleise zu den Zügen stapfen. Der/die Lokführer*in der ersten Tour lässt schon mal die Triebwagen für die 1/14
— Marisé Stella Diavolessa© 🔥 (@Marisee_Stella) August 10, 2021
nachfolgenden Kolleg*innen warmlaufen. Heißt, viele 100m um die Züge laufen, aufschließen, hochklettern, Hauptschalter ein, Motoren an. Ich bin Diesel- und dieselelektrische Züge gefahren.
Dann eigenen Zug vorbereiten, nochmal raus, Außencheck, bei Wind und Wetter. 2/14
— Marisé Stella Diavolessa© 🔥 (@Marisee_Stella) August 10, 2021
Dann Bremsprobe, Check der Bordelektrik. Evtl. mehrere Triebwagen miteinander kuppeln. Passiert zwar elektromechanisch, bei Störungen musste ich trotzdem raus und manuell kuppeln. Erfordert Kraft. Dann wieder Bremsprobe.
Bis du die erste Tour fährst, hast du schon viel 3/14
— Marisé Stella Diavolessa© 🔥 (@Marisee_Stella) August 10, 2021
Sport gemacht. Nachts. Während andere noch schlafen. Auch sonn- und feiertags.
Dann gehts auf Tour. Hoffen, dass es keinen technischen Defekt gibt mit mehreren hundert Menschen im Zug. Und immer aufmerksam sein, Signale im Blick haben, technische Überwachungen an der 4/14
— Marisé Stella Diavolessa© 🔥 (@Marisee_Stella) August 10, 2021
Strecke im Blick haben, Geschwindigkeit im Blick haben, Bahnübergänge im Blick haben.
Ankunft im Hauptbahnhof Frankfurt. Manchmal hab ich für die Rückfahrt nur ein paar Minuten Zeit. Heißt jeder Handgriff muss sitzen. Führerstand auf der einen Seite abrüsten, mehrere 5/14
— Marisé Stella Diavolessa© 🔥 (@Marisee_Stella) August 10, 2021
hundert Meter zum anderen Führerstand laufen und dort wieder aufrüsten. Bremsprobe. Läuft alles?
Manchmal werden am Hauptbahnhof auch Züge getrennt, fahren zu unterschiedlichen Zielen. Auch hier ist die Zeit knapp bemessen. Jeder Handgriff muss sitzen, für Fehler oder 6/14
— Marisé Stella Diavolessa© 🔥 (@Marisee_Stella) August 10, 2021
technische Probleme keine Zeit. Der Zug muss raus, das Gleis wird schon für den nächsten Zug benötigt. Dann wieder auf Tour, wieder hoffen, dass es keinen technischen Defekt gibt, es keine Probleme mit Fahrgästen gibt und keine Menschen auf den Gleisen rumlaufen.
Dann 7/14
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im „Heimatbahnhof“ wieder Richtungswechsel oder den Zug abstellen und den nächsten vorbereiten oder Rangierarbeiten.
Außerdem müssen die Kisten betankt werden. Mehrere tausend Liter müssen durch dicke Schläuche. Die sind schwer.
Wenn ich Spätdienst hatte, musste ich die 8/14
— Marisé Stella Diavolessa© 🔥 (@Marisee_Stella) August 10, 2021
Züge wieder abstellen. Mehrere Triebwagen trennen, abrüsten, an externen Strom anschließen, abschließen. Im Winter heißt das spät nachts bei Dunkelheit wieder durch einsame Gleisanlagen.
Und ja, ich wurde schon bedroht von Betrunkenen. Im letzten Zug, wenn du sie nicht 9/14
— Marisé Stella Diavolessa© 🔥 (@Marisee_Stella) August 10, 2021
aus dem Zug kriegst oder gar in der Gleisanlage. Nachts. In der Einsamkeit. Niemand ist da, der/die dir helfen könnte.
Manchmal gibt es Schlägereien im Zug, manchmal wird die Notbremse betätigt. Mitten auf freier Strecke. Und du bist allein. Für alles verantwortlich. 10/14
— Marisé Stella Diavolessa© 🔥 (@Marisee_Stella) August 10, 2021
Wenn in einem angehängten Triebwagen die Notbremse betätigt wird, musst du raus. Also Tür manuell öffnen, damit die Fahrgäste die Türen nicht automatisch öffnen können und aus dem Zug fallen. Mehrere Meter runterklettern, durch den Schotter in den nächsten Triebwagen u. da 11/14
— Marisé Stella Diavolessa© 🔥 (@Marisee_Stella) August 10, 2021
wieder reinklettern. Menschen Rede und Antwort stehen, beruhigen, etc. Bei mehrgleisigen Strecken harte Diskussionen mit den Fahrdienstleitern führen, warum du die Strecke sperren lässt, während du im Gleis rumläufst. Ja weil mir mein Arsch eben wichtig ist. 12/14
— Marisé Stella Diavolessa© 🔥 (@Marisee_Stella) August 10, 2021
Regelmäßig ist Fortbildung und Simulatortraining angesagt. Fällst du durch, musst du zur Nachschulung. Fällst du nochmal durch, biste erstmal weg vom Fenster.
So. Bewirbste dich als Lokführer*in ist dir ein (Ausbildungs-)job so gut wie sicher weil das Angebot groß ist. 13/14
— Marisé Stella Diavolessa© 🔥 (@Marisee_Stella) August 10, 2021
Niemand möchte den Job machen. Warum bloß? Aber rummeckern, wenn diese Leute mehr Geld verlangen. Macht euch einfach mal bewusst, was dieser Job bedeutet und wie er bezahlt wird. Gerade bei den Privatbahnen. Und seid dann solidarisch! 14/14#Bahnstreik #GDL
— Marisé Stella Diavolessa© 🔥 (@Marisee_Stella) August 10, 2021
P.S.: Ich wurde mehrfach sehr krank und kann nicht mehr arbeiten. Lebe von einer kleinen EM-Rente. Weil Lokführer*innen ja so viel verdienen…
— Marisé Stella Diavolessa© 🔥 (@Marisee_Stella) August 10, 2021
Das sagen andere User:
Das war ein wichtiger Einblick in diesen Beruf, findet ihr nicht? Ein paar Userkommentare gibt’s wie immer noch obendrauf.
Danke für den Thread. Das ist heftig.
Volle Soli mit den Streikenden!
🍀— Sandra🔴💉🏳️🌈#ZeroCovid#proimpfen#YesToNoCovid (@SandraApfelHH) August 11, 2021
Danke! Kaum jemand weiß, was dieser Beruf bedeutet.
— Gabriela Roßbach 🏳️🌈 🌹🌞 (@goldaufweiss) August 11, 2021
Meine Fresse… was für eine exzellente Ausführung… schäme mich ein bisschen für meinen Wattebausch-Job… HEY ihr Blutsauger von der @DB_Bahn nur Christian Lindner mag euch
— RedZeno&TheStoaRockers (@JoeBFlat) August 10, 2021
Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit. Wer mehr über die Beweggründe der Lokführerinnen und Lokführer lesen möchte, kann sich hier noch mal reinklicken: