Thread: Vor dem Lockdown fuhr ich an einem Wochenende mit dem Zug
Der britische Epidemiologe Geoffrey Rose beschrieb Anfang der 1980er Jahre am Beispiel der koronaren Herzkrankheiten ein grundlegendes Dilemma der Krankheitsprävention. Eine solche Maßnahme, die für die Gesellschaft einen hohen Nutzen hat und schützen soll, bringt dem Einzelnen oft nur wenig und und führt zu der irrigen Wahrnehmung, dass eben diese vorbeugende Maßnahme unwirksam ist. Genau das ist in Deutschland passiert. Die im Frühjahr beschlossenen Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus haben geholfen, eine Katastrophe abzuwenden, während andere Länder heftig mit den Folgen der Pandemie zu kämpfen hatten. Weil die Katastrophe aber nicht eintraf, warfen und werfen Menschen der Bundesregierung vor, sie hätte überreagiert oder wie im extremsten Falle der „Querdenker“ die Existenz des Virus sogar zu ihrem Vorteil missbraucht. Langfristig bedeutet dies aber auch eine gewisse Pandemiemüdigkeit. Menschen werden unvorsichtiger, gehen mit den Präventionsmaßnamen viel zu locker um und pochen auf ihre persönlichen Freiheiten und Rechte. Wie absurd diese Situation für Ärzte und Pflegepersonal sein muss, während täglich über 400 Menschen sterben und die Zahl der nutzbaren Intensivbetten immer kleiner wird und man selbst am Limit arbeitet, ist schwer vorstellbar. Wie gut, dass der User @AlgeMartin darüber diesen wichtigen Thread geschrieben hat. Den sollte jeder gelesen haben.
Vor dem Lockdown fuhr ich an einem Wochenende mit dem Zug in den Nachtdienst. Der Zug war voll junger Menschen, alkoholisiert, in Partystimmung. Masken schlampig, kein Abstand. Fröhliche Heiterkeit.
— Malge (@AlgeMartin) December 6, 2020
15 Minuten später: ICU. Schutzkleidung. Wir betreten das 4er-Zimmer. Der Anblick ist surreal: alle intubiert und maschinell beatmet. 1 x Seitenlage. 3 x Bauchlage. Über Schiebetüren kommt man in die Nachbarzimmer – das selbe in grün. Alle mit der selben verfluchten Krankheit.
— Malge (@AlgeMartin) December 6, 2020
Dieses Erlebnis steht für mich sinnbildlich für die Situation, in der wir uns gerade befinden. Während WIR versuchen, die Kernschmelze zu verhindern, nehmt IHR uns das Kühlwasser.
— Malge (@AlgeMartin) December 6, 2020
Verschwörungstheorien. Verharmlosungen. Grippevergleiche. Relativierungen. „AN oder MIT“ Diskussionen. Forderungen, man soll den Lockdown vorzeitig beenden bis hin zu Anschuldigungen, wir würden dramatisieren und lügen. Diese Diskussionen machen mich so müde.
— Malge (@AlgeMartin) December 6, 2020
Während bei uns im KH jede Woche ca. 10 Menschen an (ja, wirklich AN und nicht MIT) Covid-19 sterben, redet IHR über Schigebietsöffnungen, Nikolaus, Weihnachtsmärkte, Weihnachten und Silvester. Und zur Krönung feiert KIKA eine Einkaufsorgie.
— Malge (@AlgeMartin) December 6, 2020
Während WIR mit voller Schutzausrüstung arbeiten, ist es für EUCH nicht zumutbar, eine simple Maske zu tragen.
Während WIR uns impfen lassen werden, seid IHR skeptisch und wollt erstmal abwarten.
— Malge (@AlgeMartin) December 6, 2020
Während IHR mit dem Virus leben wollt, sehen WIR die Menschen mit dem Virus sterben.
Immer mehr wird mir klar: EURE Welt ist nicht mehr MEINE Welt.
Während IHR uns täglich mit EUREM Egoismus ins Gesicht spuckt, sind WIR immer NOCH für EUCH da.#Covid19at
— Malge (@AlgeMartin) December 6, 2020
Das sagen andere User:
Diese Diskrepanz find ich auch immer wieder krass. Die Menschen in der Fußgängerzone sind im üblichen vorweihnachtlichen Shoppingfieber und in der Klinik herrscht absoluter Ausnahmezustand.
— Flow (@Caethan13) December 7, 2020
Ich kenne niemanden, der im med. Bereich arbeitet.
Ich kenne keinen Infizierten, geschweige denn einen Toten.
Trotzdem habe ich den Ernst der Lage dieses Jahr nicht eine Sekunde unterschätzt oder kleingeredet. Mit Intelligenz, Empathie und Logik ist das nämlich auch so möglich.
— Mint_Mum (@Mint_Mum) December 7, 2020
Erschreckend. Immer wieder. Man kann es fast nicht glauben, dass angesichts dieser Situation immer noch genug Leute behaupten, es ist eh nicht so schlimm. Kürzlich meinte sogar eine Dame auf FB, dass sie von KH Personal gehört habe, sie würden das „Theater“ nicht verstehen.
— Stefan Auer (@StefanAuer11) December 7, 2020