Thread: Über meine Oma Edith
Großeltern sind nicht nur ein stetiger Quell für gute Geschichten, Wissen und Erfahrungen, sondern wichtige Bezugspersonen. Die Beziehung zu ihnen ist eine einzigartige und besondere Bindung, die das Leben beider Generationen enorm bereichert. Sie bieten nicht nur Unterstützung für die ganze Familie, sie leisten auch einen sehr wichtigen Beitrag zur emotionalen Entwicklung von uns Enkelkindern. Aufgrund ihrer Lebenserfahrungen sind sie zudem in der Lage, in Krisensituationen mit ihrer Sichtweise zu helfen, Perspektivwechsel zu ermöglichen, zu inspirieren und bessere Entscheidungen zu treffen. Ihre Hilfe und ihr Rat können uns so trösten, ermutigen, beruhigen und motivieren, neue Aufgaben zu bewältigen. Deswegen ist es wichtig, dieses besondere Band zu ehren, zu pflegen und immer für sie da zu sein. Denn schließlich weiß man nie, wie lange man noch seine Oma oder seinen Opa hat. Die Twitteruserin @_Sarahsahara_ hat einen sehr langen und emotionalen Thread über ihre Oma und deren bewegtes Leben geschrieben. Ein Text, der einem noch lange im Gedächtnis bleibt.
Dies wird ein Thread über meine Oma Edith.
Gestern rief sie mich an, um mir zum Geburtstag zu gratulieren. Ich hörte ihre Stimme und dachte, sie hätte einen Schlaganfall erlitten. Sie sprach verwaschen und lallend, sehr leise und teilweise unzusammenhängend. Sie hätte zwei Wochen— DieSarah (@_Sarahsahara_) September 27, 2021
Auf der Intensivstation verbracht, irgendwas mit dem Herz, sie lässt sich aber nicht mehr behandeln, ist jetzt wieder zu Hause (in einem Appartement, angegliedert an ein Pflegeheim).
Heute habe ich mit meinem Onkel gesprochen, er konnte Klarheit in die Sache bringen.— DieSarah (@_Sarahsahara_) September 27, 2021
Aufgrund von Herzrhythmusstörungen kam Oma Edith ins Krankenhaus, dort gab es durch mehrere Untersuchungen dann einen Zufallsbefund. Es gibt einen neuen Krebsherd (vor ca 20 Jahren hatte sie Brustkrebs) in der Gebärmutter und Metastasen in Lunge und Leber. Da sie die Behandlung
— DieSarah (@_Sarahsahara_) September 27, 2021
Verweigerte, wurde sie entlassen. Allerdings kann sie nun nicht mehr alleine leben. Gestern Abend ist sie gestürzt und verbrachte die Nacht auf dem Fußboden. Erst am Morgen drückte sie ihren Hausnotruf-Knopf.
Sie sperrt sich aber gegen die Unterbringung auf einer Pflege- oder— DieSarah (@_Sarahsahara_) September 27, 2021
Palliativstation. Dabei bräuchte sie dringend Sauerstoff und am besten auch Morphium. Sie muss sehr genau gewusst haben, dass sie sehr krank ist. Seit Monaten litt sie an Husten, Schwächeanfällen und Blutungen. Ist aber nie zum Arzt, hat alles verschwiegen oder Ausreden gesucht.
— DieSarah (@_Sarahsahara_) September 27, 2021
Ich kann das gut nachvollziehen. Sie hat ihre Beustkrebstherapie in schrecklicher Erinnerung. Die Familie ist größtenteils weit weg und heftig zerstritten. Da ist niemand, der unterstützen und begleiten würde. Es macht mich sehr traurig, dass sie mit dieser Entscheidung, nichts
— DieSarah (@_Sarahsahara_) September 27, 2021
zu unternehmen, ganz alleine war.
Sie ist 84 Jahre alt, hat ihr Leben gelebt. Und dieses Leben war sehr schwer. Sie ist Kriegskind und ist in einer entbehrungsreichen Zeit aufgewachsen. Sie erzählte von Schulspeisungen, bei denen Ungeziefer im Getreidebrei zu finden war und man— DieSarah (@_Sarahsahara_) September 27, 2021
Sie zwang, trotz Brechreiz zu essen. An ihrer Kommunion gab es keinen Kuchen, aber Brot, aus Ermangelung an Butter mit Senf bestrichen. Und sie hat es als eine große Köstlichkeit in Erinnerung. Oma Edith wäre gerne Schneiderin geworden, musste aber Verkäuferin lernen. Nach ihrer
— DieSarah (@_Sarahsahara_) September 27, 2021
Hochzeit wurde ihr das Arbeiten gehen verboten. Denn es wäre für meinen Opa eine Schmach gewesen, die Leute würden denken, er schaffe es nicht, genügend Geld für die Familie zu verdienen.
Sie bekam vier Kinder, die Geburten und Stillzeit beschreibt sie als traumatisch.— DieSarah (@_Sarahsahara_) September 27, 2021
Beim zweiten Kind wurden so viele Milchfördernde Maßnahmen vom Arzt empfohlen, dass meine Oma ihre Muttermilch an die örtliche Wöchnerinnenstation abgab und mit dem verdienten Geld den ersten Kühlschrank und ein Fernsehgerät finanzierte. Ihr hätten auch zwei Kinder vollkommen
— DieSarah (@_Sarahsahara_) September 27, 2021
gereicht. Gearbeitet hat sie nie wieder. Sie hat gerne Handarbeiten gemacht, den Garten gepflegt, gelesen. Und sie hatte einen Hang zum esoterischen. Horoskope, Gesundbetung, Edelsteinmagie, Kornkreise, magnetische Energiefelder, Geisteranbetung…
Für Ihre Kinder Angst— DieSarah (@_Sarahsahara_) September 27, 2021
Einflößend, für mich eher spannend. Meine Großeltern haben lange Zeit vegetarisch gelebt, eines meiner Lieblingsessen von Oma Edith ist Sojagulasch. Bevor die Eisdiele im Ort in die Winterpause ging, hat meine Oma dort mehrere Tupperschüsseln mit Eis füllen lassen, so gab es
— DieSarah (@_Sarahsahara_) September 27, 2021
Auch auch im Winter immer gutes Eis bei meinen Großeltern. Meine Oma hat lange Zeit große Stücke auf ihre Söhne (3) gehalten. Allerdings ist keine der Ehen (sowohl die von meinem Vater, als auch die meiner Onkel) erfolgreich und das Fremdgehen fast schon männlicher Familiensport.
— DieSarah (@_Sarahsahara_) September 27, 2021
Erst als mein Opa mit Mitte 60 eine Affäre anfängt (vermutlich nicht die erste) und sich dann schließlich trennt, erweitert sich der Blickwinkel. Vielleicht sind ja doch ihre Schwiegertöchter nicht alleine Schuld an den gescheiterten Ehen. Sie erkrankt an Brustkrebs und muss sich
— DieSarah (@_Sarahsahara_) September 27, 2021
gleichzeitig mit Ende 60 emanzipieren. Ist plötzlich auf sich allein gestellt. Fühlt sich von ihrem Mann verraten, schafft es aber wieder auf die Füße. Sie lernt schwimmen und walken, nimmt an Handarbeitskreisen teil, schafft sich neue Lebensinhalte. Ihr Sohn (mein jüngster Onkel
— DieSarah (@_Sarahsahara_) September 27, 2021
Mit seiner Familie) übernimmt das Haus und baut es um. Sie muss ihr Reich verkleinern, ist aber nicht mehr so einsam. Leider scheitert das Zusammenleben, sie versteht sich nicht mit ihrer Schwiegertochter. Diese ekelt meine Oma mehr oder weniger aus ihrem eigenen Haus.
— DieSarah (@_Sarahsahara_) September 27, 2021
Sie zieht um, ins betreute Wohnen. Ein Appartement, ihre Schwester im gleichen Gebäude, innenstadtnah. Sie schafft es auch hier, sich einzugewöhnen. Gemeinsame Mahlzeiten, in der Stadt bummeln gehen. Durch Corona rostet sie ziemlich ein, kein Besuch erlaubt, wenig Bewegung.
— DieSarah (@_Sarahsahara_) September 27, 2021
Und nun scheint das Ende gekommen.
Am Mittwoch nehme ich mir frei und fahre hin. Ich hoffe, sie hält bis dahin durch. Ich möchte mich gerne verabschieden und ihr eine gute Reise wünschen. Und mich bedanken, sie hat mich geprägt und ich lerne viel aus ihrer Geschichte.— DieSarah (@_Sarahsahara_) September 27, 2021
Da ihr euch alle mit guten Vorschlägen meldet. Oma Edith ist seit heute morgen auf der Palliativstation. Morgen schau ich, wie es ihr dort geht. Ich hoffe, es geht nun schnell, schmerz- und angstfrei.
— DieSarah (@_Sarahsahara_) September 28, 2021
Update: ich war heute 2 Stunden bei Oma Edith, sie war schon nicht mehr ansprechbar, konnte keinen Blickkontakt herstellen. Der Atem ging schwer, sie war schon sehr spitznasig. Aber irgendwie hatten wir schon den Eindruck, dass sie unsere (meine und die meines Onkels) Anwesenheit
— DieSarah (@_Sarahsahara_) September 29, 2021
Bemerkt. Pflege und Ärzte kümmerten sich gut, sie wurde regelmäßig sanft gelagert, wurde mit Sauerstoff und Morphium versorgt. Bei Unruhe und Schmerzen wurde sofort reagiert.
Gegen 13.00 bin ich gefahren, mein Onkel war ebenfalls kurz unterwegs, er wollte ihr noch frische— DieSarah (@_Sarahsahara_) September 29, 2021
Wäsche besorgen.
Keine Stunde später ist sie verstorben. Ich habe kurz überlegt, sie war allein, hätte ich nicht länger bleiben sollen. Aber wie ich sie kenne, hat Oma Edith darauf gewartet, allein zu sein.Sie wird nun in ihrem Sinne eingeäschert und auf einem
— DieSarah (@_Sarahsahara_) September 29, 2021
Friedwald bestattet.
Ich werde sie vermissen, aber bin sehr froh, dass sie noch auf mich gewartet hat
— DieSarah (@_Sarahsahara_) September 29, 2021
Das sagen andere User:
Es ist immer traurig, wenn uns ein geliebter Mensch verlässt. Aber wenn wir uns an ihn und sein Leben erinnern und anderen davon erzählen, lebt dieser Mensch gewissermaßen in uns weiter. Es ist wichtig, dass wir das Andenken unserer Großeltern in Ehren halten. Zum Abschluss haben wir noch ein paar Kommentare für euch gesammelt.
Ein trauriges, leider oft typisches Schicksal von Kriegskindern. Schön, wenn sie jetzt Besuch bekommt – und Chemo vor 20 Jahren war oft schrecklich, da verstehe ich die Ablehnung von weiteren Therapien.
— BarbaraE (@barbara_hartje) September 27, 2021
Oh Gott, das klingt so sehr nach meiner Oma. 😥 Auch sie war eine wundervolle, starke Frau und hat bis zum Ende ihren Krebs verdrängt. 90 durfte sie noch werden, aber dann ging es ziemlich schnell vorbei.
Nutze die letzten Stunden, die du mit deiner Oma hast. Ich drück dich! (())— drosophil 💉 (@frustfliege) September 28, 2021
Danke dass wir deine Oma kenn lernen dürfen. Alles Gute für euch!
— 🌈🌈Dermatophyt (@Dermatophyt) September 28, 2021
Das Erstaunliche ist, dass sie bei all ihren Schmerzen und der Angst, die sie sicher hat, an den Geburtstag gedacht hat. Was für eine tolle Frau! Ich wünsche euch, dass sie in ihrer letzten Zeit Hilfe und eine gute Behandlung bekommt. Euch beiden viel Kraft. ❤️
— 💚❤️🌞Corinna, hurra ich lebe noch!📷👩❤️👨🗺️ (@CorinnaVahrenk1) September 28, 2021
Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit! Wir hätten zum Abschluss noch das hier für euch: