Thread: Über die Regulierung von Wahlaufrufen
Wenn Influencer für die CDU mobilisieren, ist das natürlich völlig in Ordnung. Im letzten Bundestagswahlkampf nutzte die Union Prominente für eine Kampagne, wie man auf der Webseite unterstuetzt-merkel.de sehen kann.
Den Aufruf zur Europawahl von 70 Youtubern, nicht die Volksparteien und die AfD zu wählen, sieht man bei den Christdemorkraten hingegen kritisch und möchte jetzt plötzlich alles regulieren.
Zur Erinnerung, das hatte die CDU-Vorsitzende AKK gesagt:
„Als die Nachricht kam, dass sich eine ganze Reihe von Youtubern zusammengeschlossen hat, um einen Aufruf zu starten, Wahlaufruf gegen CDU und SPD. Da habe ich mich gefragt, was wäre in diesem Land los, wenn eine Reihe von 70 Zeitungsredaktionen zwei Tage vor der Wahl erklärt hätten, wählt nicht CDU und SPD? Das wäre klare Meinungsmache vor der Wahl gewesen. Und ich glaube, das hätte eine muntere Diskussion in diesem Land ausgelöst.“
Rechtsanwalt und Digitaljurist Simon Assion hat sich sehr intensiv mit dem Statement beschäftigt, die in Frage kommenden Rechtsvorschriften zusammengetragen und diesen wichtigen Thread getwittert.
Ein paar medienrechtliche Anmerkungen zu der Äußerung von @akk, man müsse angesichts von #rezovideo über die Regulierung von Wahlaufrufen von Influencern nachdenken. https://t.co/yb1Q9FxM2A
— Simon Assion (@sas_assion) 27. Mai 2019
Hier das Zitat, leicht redegiert:
(Quelle: https://t.co/LNcjoiDIWy)
— Simon Assion (@sas_assion) 27. Mai 2019
Beginnen wir mit dem Offensichtlichen: Influencer sind keine Zeitungen. Influencer sind Prominente, die manchmal für andere Personen Vorbildwirkung haben.
Für Prominente gelten keine journalistischen Sorgfaltsregeln oder Neutralitätspflichten.
— Simon Assion (@sas_assion) 27. Mai 2019
Ein Gesetz, das es Privatpersonen untersagt, vor der Wahl einen Wahlaufruf zu veröffentlichen, gibt es selbstverständlich nicht. Anderenfalls wären ja auch Wahlaufrufe von Prominenten zugunsten der CDU/CSU rechtswidrig.
Hier eine Bildergalerie von 2013: https://t.co/HQSbJxEgzo
— Simon Assion (@sas_assion) 27. Mai 2019
Und nun zu den Zeitungen: Auch für diese gibt es selbstverständlich kein Gesetz, das diesen „Meinungsmache“ verbietet. Meinungen zu machen, gehört sogar zu deren eigentlicher Aufgabe.
— Simon Assion (@sas_assion) 27. Mai 2019
„Die Freiheit der Medien ist konstituierend für die freiheitliche demokratische Grundordnung“, sagt das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung
(statt vieler BVerfGE 117, 244 (258) – Cicero)
— Simon Assion (@sas_assion) 27. Mai 2019
Deswegen gibt es selbstverständlich auch in Deutschland kein Gesetz, das es Zeitungen verbietet, vor der Wahl „Wahlaufrufe“ zu veröffentlichen. Dies Praxis ist in Deutschland zwar selten, aber kommt vor. Im anglo-amerikanischen Bereich sind sog. ‚Endorsements‘ sogar ganz üblich.
— Simon Assion (@sas_assion) 27. Mai 2019
Lange Liste von Beispielen aus UK (für 2017): https://t.co/kp4wcsUIix
Beispiel für eine Wahlempfehlung aus Deutschland (Financial Times Deutschland): https://t.co/F5zEkJgBUq
— Simon Assion (@sas_assion) 27. Mai 2019
Wenn Zeitungen sich in Deutschland zusammentun würden, um konzertiert eine Wahlempfehlung abzugeben, dann wäre das also vollkommen legal.
Versuche der negativ betroffenen Parteien, eine solche Praxis „offensiv anzugehen“, wären demgegenüber offensichtlich verfassungswidrig.
— Simon Assion (@sas_assion) 27. Mai 2019
Denn, in den Worten des BVerfG:
„Eine freie […] keiner Zensur unterworfene Presse ist Wesenselement des freiheitlichen Staates […]. Ihre Aufgabe ist es, […] Meinungen wiederzugeben und selbst Meinungen zu bilden und zu vertreten.“
– BVerfGE 52, 283 (296) – Tendenzschutz
— Simon Assion (@sas_assion) 27. Mai 2019
Zusammengefasst lässt sich also sagen: Wenn @akk andeutet, es gäbe im „analogen Bereich“ Regeln, mit denen eine derartige „Meinungsmache“ verboten sei, dann entspricht diese Äußerung nicht der Rechtslage. Verboten ist dies weder für Influencer, noch für Zeitungen.
— Simon Assion (@sas_assion) 27. Mai 2019
Und weil nun vielleicht die CDU auf die Suche nach „analogen“ Regeln des Medienrechts gehen könnte, die sie auf „Influencer“ übertragen könnte, hier noch eine kleine Auflistung von medienrechtlichen Regelungen, die alle NICHT verbieten, Wahlaufrufe zu veröffentlichen:
— Simon Assion (@sas_assion) 27. Mai 2019
Richtlinie 1.2 des (ohnehin unverbindlichen) Pressekodex verpflichtet die Presse, auch Auffassungen darzustellen, die sie selbst nicht teilt.
Aber selbstverständlich dürfen Journalisten und Medien sagen, welche Auffassung sie teilen.
— Simon Assion (@sas_assion) 27. Mai 2019
Auch die Verpflichtung von Medien auf die „journalistische Sorgfalt“ (z.B. § 6 Abs. 2 SaarlMedienG) verbietet Medien weder „Meinungsmache“, noch Wahlaufrufe.
Medien können sorgfältig berichten und trotzdem Position beziehen. Sie sollten beides nur transparent voneinander trennen.— Simon Assion (@sas_assion) 27. Mai 2019
Genau deshalb gibt es in Medien ja auch eine Vielzahl von Kommentaren, die sich für oder gegen bestimmte Politiker aussprechen. Hier beispielsweise eine Rücktrittsforderung gegen Kanzlerin Merkel: https://t.co/BtEAINsMqL
Ist das „Meinungsmache“? Selbstverständlich. Illegal? Nein.— Simon Assion (@sas_assion) 27. Mai 2019
tl,dr:
– Influencer sind keine Zeitungen.
– Wahlaufrufe sind legal.
– Zeitungen müssen nicht neutral sein
– Zeitungen dürfen „Meinungsmache“ betreiben.
– Versuche, dies gesetzlich zu ändern, wären unweigerlich verfassungswidrig.
– All dies gilt analog genauso wie digital.— Simon Assion (@sas_assion) 27. Mai 2019
Nachtrag (danke @masatwwo für den Hinweis auf die Erläuterungen von @solmecke): https://t.co/RxCevN6ie0
— Simon Assion (@sas_assion) 27. Mai 2019
Auch § 7 XIV RStV verbietet keine „Wahlaufrufe“. Die Vorschrift ist zwar undeutlich formuliert, was auch zu Spekulationen einlädt. Die Vorschrift wäre aber klar verfassungswidrig, wenn man sie so auslegen würde, dass sie Youtubern das Verbreiten politischer Statements verbietet.
— Simon Assion (@sas_assion) 27. Mai 2019
Verfassungskonform ausgelegt adressiert die Vorschrift nur klassische „Werbeblöcke“ und evtl. auch Schleichwerbung.
Dafür, dass das #rezovideo bezahlte Werbung enthält (d.h. politische Statements gegen Entgelt) gibt es keine Hinweise, und davon hat @akk ja auch nicht gesprochen.
— Simon Assion (@sas_assion) 27. Mai 2019