Thread: Schreckliches aus den Baseballschlägerjahren
Während Rechtsradikale in den Zeiten um die Wende noch klar und meist recht(s) eindeutig an Glatze, Springerstiefel und Baseballschläger zu erkennen waren, ist das heute sehr viel schwieriger. Die eigenen meist hippen Klamottenlabel und deren Kleidungsstücke haben mit der „Neonaziausstattung“ der 90er nichts mehr gemeinsam. Geblieben ist die menschenverachtende Einstellung in den Köpfen, auch wenn sich das Äußere auf den Köpfen stark gewandelt hat, Stichwort Identitäre Bewegung.
Unter dem Hashtag #Baseballschlägerjahre erzählen zahlreiche Menschen aus West und Ost über das, was sie damals – eben in den Baseballschlägerjahren der Nachwendezeit – gerade in Ostdeutschland erleben mussten. Im folgenden Thread berichtet Autor @Matthias_Quent von seinem Alltag als Jugendlicher, der von rechten Angriffen geprägt war. #NazisRaus!
https://twitter.com/Matthias_Quent/status/1194309550201081859
Pöbeleien und Angriffe gegen alternative Jugendliche: noch Anfang der 2000er Jahre Normalität. An Wochenenden sind die #Nazis abends mit Autos patrouilliert – wir hatten nur Fahrräder und keine Chance. Der #Nazi, der mir mit einem Schlag die Nase brach, wurde nie erwischt.
— Matthias Quent (@Matthias_Quent) November 12, 2019
Die, die mich uns am Arnstädter Südbahhof erst auf die Bahngleise hetzten und dann über die Leitplanken eine steile Böschung runter geworfen haben auch nicht. #baseballschlaegerjahre
— Matthias Quent (@Matthias_Quent) November 12, 2019
Auf dem Marktplatz bepöbelten uns eines abends Nazis und zeigten den #Hitlergruß. Wir versteckten uns in einer Kneipe. Ich habe die Polizei gerufen, die aber nicht kam. Der Vater einer Freundin musste uns abholen. #baseballschlaegerjahre
— Matthias Quent (@Matthias_Quent) November 12, 2019
Tage später haben wir erfahren: Dieselben Nazis verprügelten später einen Hiphoper. Wir haben oft die #Polizei gerufen. Gekommen ist sie fast nie. „Wir haben kein Auto da“, „dauert aber ne Stunde“ oder einfach aufgelegt. Warum? #Baseballschlägerjahre
— Matthias Quent (@Matthias_Quent) November 12, 2019
Die Folge in meinem Umfeld: Rückzug in Computerspiele, ins Unpolitische, in Drogen, aber auch Widerstand. Die wenigen, die uns jenseits von Familie und Clique damals in #Arnstadt ernstgenommen haben, waren eine Lehrerin und @SteffenDittes. Danke, Steffen! #baseballschlaegerjahre
— Matthias Quent (@Matthias_Quent) November 12, 2019
Als ich 16 war, warteten Nazis mehrfach schon morgens mit Knüppeln und Steinen vor der Schule auf uns. Ich musste verletzt zum Arzt, die Polizei kam und nahm Personalien auf. #Baseballschlägerjahre
— Matthias Quent (@Matthias_Quent) November 12, 2019
Heute war ich zu einem Vortrag zu #Rechtsradikalismus bei der Deutschen Richterakademie. Da ist mir die Gerichtsverhandlung von damals wieder eingefallen: Die Richterin fragte, warum wir das denn nicht unter uns geklärt hätten, die Nazis und wir. #Baseballschlägerjahre
— Matthias Quent (@Matthias_Quent) November 12, 2019
Im Rückblick war diese Frage so bezeichnend: Das hat doch nichts mit uns zu tun! Im Gymnasium wurde uns Individualismus und Demokratie gelehrt. Auf der Straße hieß es: klärt das unter euch. #baseballschlaegerjahre
— Matthias Quent (@Matthias_Quent) November 12, 2019
Es wurde nicht verstanden, dass jeder Angriff auf den liberalen Pluralismus ein Angriff auf die Werte dieser Gesellschaft ist. Hat sich das heute geändert? #Baseballschlägerjahre
— Matthias Quent (@Matthias_Quent) November 12, 2019
Das Zynische ist: tatsächlich hat erst die Selbstjustiz der #Antifa geholfen. Der Nazi wurde wegen mehrerer Gewaltdelikte zu einer Jugendstrafe verurteilt. Aber er und seine Freunde kamen vor dem Haftantritt immer wieder. Neue Angriffe. #baseballschlaegerjahre
— Matthias Quent (@Matthias_Quent) November 12, 2019
Ohne Angst in die Schule konnte ich erst, als ältere Antifaschisten eines morgens deutlich wurden. #DankeAntifa, dass ich mein Abi dann ohne Angst machen konnte.
— Matthias Quent (@Matthias_Quent) November 12, 2019
Nichts daran ist richtig. Das sollte es in einem demokratischen Rechtsstaat nicht geben. Bedrohung und Gewalt dürfen keine Lösungswege sein, auch nicht die einzigen, die funktionieren. #baseballschlaegerjahre
— Matthias Quent (@Matthias_Quent) November 12, 2019
Die Angst ist nicht normal in einer Demokratie. Das habe ich erst vor einigen Jahren bei einem Vortrag vor westdeutschen Gewerkschaftern gelernt, als bei meiner beiläufigen Erzählung meiner Erfahrungen eine Frau in Tränen ausgebrochen ist. #baseballschlaegerjahre
— Matthias Quent (@Matthias_Quent) November 12, 2019
Danke an @christianbangel für die Texte und Initiative #Baseballschlägerjahre. Bisher habe ich mich nicht beteiligt, denn ich fand es vor allem toll, dass viele, die bisher keine Stimme hatten, dadurch endlich gehört werden.
— Matthias Quent (@Matthias_Quent) November 12, 2019
Die wenigsten haben wie ich die Möglichkeit, dies in ihrer Arbeit zu tun und zu thematisieren. Im Vorwort meines Buches „Deutschland rechts außen“ gehe ich auf meine #Baseballschlägerjahre ein. Mich, uns können die Erfolge und die Gewalt der Rechtsradikalen nicht überraschen.
— Matthias Quent (@Matthias_Quent) November 12, 2019
Heute emanzipieren sich Stimmen, die lange unterdrückt waren. Die Polizist*innen, die nicht gekommen sind und die Politiker*innen, die weggeguckt haben, sind zum Teil immer noch da sind. Aber jetzt sind auch andere, bessere da, auch in #Ostdeutschland. #baseballschlägerjahre
— Matthias Quent (@Matthias_Quent) November 12, 2019
Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen und der Learnings daraus lassen mich der Hass in Internetkommentaren, die Mails, Besuche, „Recherchen“, kleine Anfragen und andere Sticheleien der Rechtsradikalen kalt. Wir lassen uns nie wieder ohnmächtig machen. #baseballschlaegerjahre
— Matthias Quent (@Matthias_Quent) November 12, 2019