Thread: Nach einer Covid-Infektion
Über 21 Millionen Covid-Infektionen wurden in Deutschland bislang registriert. 130.000 Menschen sind nachweislich im Zusammenhang mit Covid gestorben. Die Übrigen gelten größtenteils als genesen, doch der gesundheitliche Zustand dieser ehemaligen Erkrankten ist ein sehr weites Feld. Die Rede ist von Long Covid (vier bis zwölf Wochen nach der Infektion) beziehungsweise Post Covid (länger als zwölf Wochen). Das RKI meint damit „[l]ängerfristige, gesundheitliche Folgen einer SARS-CoV-2-Infektion, [welche die] Beeinträchtigungen von körperlicher und psychischer Gesundheit [umfassen und die] Funktionsfähigkeit im Alltag und Lebensqualität negativ beeinflussen.“
Die Recherche zum Thema fühlt sich ein bisschen an wie ein Fangspiel bei Nebel. Längst wissen wir nicht alles über Long bzw. Post Covid. Es scheint sich jedenfalls herauszukristallisieren, dass die Wahrscheinlichkeit von Langzeitfolgen mit der Verlaufsstärke der Erkrankung korreliert. Von denjenigen Erwachsenen, die stationär wegen Covid behandelt wurden, berichten bis zu 76 Prozent noch ein halbes Jahr nach der Entlassung aus dem Krankenhaus über verschiedene Symptome! Bei sogenannten milden Verläufen gehen die Schätzungen über Langzeitfolgen, die 12 Wochen und länger über die Infektion hinausgehen, sehr weit auseinander. Das RKI spricht von 2 bis 20 Prozent. Allerdings ist das Krankheitsbild diffus. Zu den häufigsten Symptomen gehören Müdigkeit, Erschöpfung und eingeschränkte Belastbarkeit, Kurzatmigkeit, Konzentrations- und Gedächtnisprobleme, Schlafstörungen, Muskelschwäche und -schmerzen sowie psychische Probleme. Zudem kommt es immer wieder zu Organkomplikationen. Dabei können die Symptome einzeln, aber auch in Kombination auftreten.
Ein Problem dieser Forschung ist auch, dass nicht alle Langzeitfolgen von Covid-Infektionen dokumentiert werden. Denn längst nicht jede*r Betroffene begibt sich wegen der Einschränkungen in Behandlung. Twitteruserin Sigrid Neuhauser hat in ihrem (anonymisierten) Thread Beobachtungen gesammelt, die sie im Umgang mit ehemalig Infizierten gemacht hat.
Nach einer Covid Infektion haben viele Menschen kleine, aber dennoch relevante Einschränkungen in ihrem Leben.
Hier ein paar Beispiele denen ich im letzten Jahr begegnet bin. Alle geschilderten Personen bezeichnen sich selbst übrigens als vollständig genesen. 🧵— Sigrid Neuhauser (@gebirgsziege) April 1, 2022
Die Hausfrau mit den erwachsenen Kindern, die sich seit ihrer Covid Infektion die Namen der Enkelkinder nicht merken kann bzw die Enkel ständig durcheinander bringt.
Vorher war das kein Problem. Geht ihr auch mit anderen Gegenständen so.
„Ist halt das Alter“.— Sigrid Neuhauser (@gebirgsziege) April 1, 2022
Der Student der erzählt dass er seit der Covid Infektion im Oktober 20 nur noch an freien Tagen Bouldern gehen kann, weil nach der Uni/Arbeit so geschlaucht ist dass er sich nicht mehr aufraffen kann.
„Ist eben die Belastung durch Uni und Arbeit und der Stress von der Pandemie“.— Sigrid Neuhauser (@gebirgsziege) April 1, 2022
Die Studentin die auch für 2-3 Stockwerke den Lift nehmen muss, da sie seit ihrer Covid Infektion Probleme mit dem Kreislauf hat. Die vorher Berglauf betrieben hat.
„Ist der Kreislauf weil ich im letzten halben Jahr seit Covid soviel abgenommen habe“— Sigrid Neuhauser (@gebirgsziege) April 1, 2022
Der Pensionist, der früher 5h Touren quer über die Tiroler Berge mit dem e-bike gefahren ist, die Touren jetzt aber lieber im Tal fährt da die Leistungsfähigkeit nach der Covid Infektion massiv zurückgegangen ist.
„Ich bin eben nimmer der Jüngste“— Sigrid Neuhauser (@gebirgsziege) April 1, 2022
Die Frau, die nur noch mit Einkaufsliste einkaufen gehen kann auch wenn sie nur 1L Milch oder 2kg Kartoffeln braucht. Größere Einkäufe erledigt der Mann „weil sonst kauft sie immer viel zuviel weil sie den Überblick auf der Liste verliert“.
— Sigrid Neuhauser (@gebirgsziege) April 1, 2022
Der Mann der ständig vergisst was er eigentlich machen wollte. Will z.B. für sich und die Gäste Kaffee holen, kommt mit dem Kärcher aus dem Haus weil er nicht mehr wusste warum er ins Haus gegangen ist. Frau sagt das passiert in letzter Zeit ständig.
„Hab nicht gut geschlafen“— Sigrid Neuhauser (@gebirgsziege) April 1, 2022
Das Schulkind, das seit der Covid Infektion ständig krank ist: Husten, Schnupfen, Magen-Darm, alles wird aufgesammelt.
„Weißt eh wie das ist in dem Alter, da klauben sie jede Krankheit auf“— Sigrid Neuhauser (@gebirgsziege) April 1, 2022
Der Kollege der nach je 15min Besprechung eine Pause braucht, weil er seit Covid Konzentrationsschwierigkeiten hat.
„Ich bin einfach überfordert und die Pausen helfen mir produktiv zu bleiben“— Sigrid Neuhauser (@gebirgsziege) April 1, 2022
Die Kollegin, die sich nur noch verpackte Dinge isst weil sie verdorbenes Essen nicht mehr riechen und schmecken kann. Auf Nachfrage kommt: „Mein Geruchssinn ist nicht mehr ganz zurückgekommen, aber mir geht es ja zum Glück wieder gut.“
— Sigrid Neuhauser (@gebirgsziege) April 1, 2022
Solche Beispiele kennt vermutlich jeder inzwischen: Menschen mit kleinen post Covid Einschränkungen die sie meist gut kaschieren können, und die wenn sie doch auffallen mit externe Faktoren begründet werden (Alter, Stress, etc).
— Sigrid Neuhauser (@gebirgsziege) April 1, 2022
Diese Menschen funktionieren im Alltag, bringen die geforderte Leistung. Aber am Abend fallen sie um 8h ins Bett, geben das Hobby auf, haben eine eingeschränkte Lebensqualität im Vergleich zu vor der Infektion. Vor allem sieht das niemand, diese Leiden ist ein stilles, einsames.
— Sigrid Neuhauser (@gebirgsziege) April 1, 2022
Manche Dinge werden vermutlich besser, andere nicht. Manche hängen ursächlich mit Covid zusammen andere nicht, das ist schon klar.
Was wir aber dringend brauchen ist Aufklärung über diese Dinge, denn auch diese Kleinigkeiten schränken massiv ein.— Sigrid Neuhauser (@gebirgsziege) April 1, 2022
Wir brauchen eine genauere Sprache um die vielfältigen Post Covid Probleme zu beschreiben und eben auch diese „kleinen“ Probleme zu thematisieren. Denn nur so können wir Lösungen für diese Probleme anbieten bzw entwickeln.
— Sigrid Neuhauser (@gebirgsziege) April 1, 2022
PS: natürlich sind die Fälle oben anonymisiert, Geschlechter randomisiert um hier keinen Rückschluss auf reale Personen zu ermöglichen. Manche Verläufe waren mild, andere weniger wobei keiner länger im Spital war. Das ist aber für die oben beschriebenen Dinge auch nicht relevant.
— Sigrid Neuhauser (@gebirgsziege) April 1, 2022
So kommentieren andere User*innen
Puh, wenn das die milden Infektionsfolgen sind, möchte man sich gravierende Langzeitfolgen gar nicht erst vorstellen. Leider fanden sich viele Twitter-User*innen in den Beobachtungen wieder. Ein paar der treffendsten Kommentare haben wir für euch zusammengetragen.
Oder so wie ich: vorher viel Sport, jetzt langsam auch wieder, aber es fällt mir SO schwer – nach 2 Wochen mildem Verlauf keine Kondition mehr.
Achja, und Kreislauf hab ich. Das hat mich umfallen lassen und das produziert:— 🎈BiBaBumble 🎈 (@bibabumble) April 1, 2022
Ich stand letzte Woche ewig vor dem Duschgel-Regal im DM und konnte mich nicht mehr erinnern, welche Sorte ich seit 5 Jahren benutze.. Diese Totalausfälle machen Angst!
— Prozessor Doktor Lametta (@Lamettaregen) April 1, 2022
Danke für die Zusammenstellung
Erkenne vieles wieder.Bin zu jung, um es aufs Alter schieben zu können/wollen
Habe mich nach erstem Covid sehr langsam erholt, aber weiß dass es bergauf gehen kann.
Dann nochmal Covid.Und wieder von vorn anfangen.
Ob ich wieder 100% werde?— Limoncito🍋 (@PinkerPfau) April 1, 2022
Wir wünschen allen Betroffenen gute Genesung und viel Unterstützung auf ihrem Heilungsweg! Wenn ihr Interesse am Thema „Corona-Folgen“ habt, empfehlen wir euch folgenden Beitrag: