Thread: Nach 8 Jahren im Einzelhandel
Was es mit dem Hashtag #IchbinArmutsbetroffen auf sich hat, haben wir euch ja schon vor rund zwei Wochen erzählt. Wir werden in Kürze auch noch einen separaten Themenbeitrag dazu zusammenstellen. Der nun folgende Thread von @momofan2208 adressiert nicht direkt das Thema Armut, sondern vielmehr das allgemeine Verhalten von Kundinnen und Kunden sowie des Einzelhandels. Aber auch der Gesetzgeber hat einen nicht unwesentlichen Anteil an der Problematik, das Stichwort Containern sei hier gegeben. Es geht also auch um die Gesellschaft als Ganzes und um die Mechanismen, die Armut begünstigen. Und das, wo wir doch als eines der reichsten Länder der Welt in der Lage wären, diese einzudämmen. Gerade jetzt, wo die gestiegene Inflation in Deutschland die Tafeln und andere Hilfsorganisationen an ihre Grenzen bringt, müssen sich einige Dinge dringend ändern. Welche das genau sind und wie euer (Kauf-)Verhalten dazu beitragen kann, das lest ihr am besten selbst. Es folgt ein Blick hinter die Kulissen.
#IchBinArmutbetroffen
Nach 8 Jahren Lebensmittel Einzelhandel habe ich einige Sachen festgestellt:Aber zunächst: man bemerkt am Kaufverhalten von Stammkunden wer von Armut betroffen ist und wer nicht (Ende des Monat, Pfandflaschen etc.)
— Marionka (@momofan2208) May 29, 2022
-Sobald es etwas umsonst gibt, kennen zu 95% die besser betuchteren Kunden keine Grenzen. Wir haben mal Rosen zu einer Neueröffnung verschenk. Oh man, ihr macht euch kein Bild. Dicker Mercedes aber noch bitte 4 Rosen weil man ja noch Kinder zuhause hat.
— Marionka (@momofan2208) May 29, 2022
-wir haben mal Osternsachen an Kinder verschenkt. Eine Mutter mit Porsche hat ernsthaft ihren Sohn nochmals reingeschickt um den Rest abzugreifen. Sie hat sich dann über mich bei der Zentrale beschwert, weil ich ihm nichts mehr gab
-manchmal gibt es diese 5€ spendentüten— Marionka (@momofan2208) May 29, 2022
Für die Tafel. Die meisten die solche Tüten spenden, sind Kunden, die selbst wenig haben. Ich hab mal eine Kundin erlebt (ich kenne sie persönlich und glaubt mir, die haben Geld) die die Nase gerümpft hat. Sollen mal was schaffen für ihr Geld
— Marionka (@momofan2208) May 29, 2022
Ich könnte noch mehr Dinge aufzählen. Das schlimmste aber: die Konzerne, die sich ständig Nachhaltigkeit und so Quatsch auf die fahne schreiben, sind noch schlimmer. Es wird weggeworfen was geht. Der Laden muss immer voll sein. Wehe Dinge sind mal aus, da wirst als Marktleiter
— Marionka (@momofan2208) May 29, 2022
Fertig gemacht.
Wusste ihr zum Beispiel, dass eine Schokoladentafel bei Bruch weggeworfen werden muss? Am Anfang durften das noch die Mitarbeiter essen. Dann nicht mehr. Man durfte auch noch abgelaufene Lebensmittel kostenlos mitnehmen.
— Marionka (@momofan2208) May 29, 2022
Dann musste man 10ct pro Artikel bezahlen. Später wurde auch das verboten.
Zu Weihnachten haben wir mal 3 ganze Hasen weggeworfen. 3 Tiere, für die Tonne gestorben. Aber es war halt im Angebot.Das zeigt, wie unsere Gesellschaft und Konzerne mit Armutsbetroffenen umgeht.
— Marionka (@momofan2208) May 29, 2022
Lieber wegschmeißen als spenden oder zu helfen.
Sorry es passt vielleicht nicht unter den Hashtag aber es musste mal raus— Marionka (@momofan2208) May 29, 2022
— Marionka (@momofan2208) May 29, 2022
Ich hab damals übrigens bei einer Tochter (Discounter mit 160 Filialen-gehört nun zu netto)der Edeka Südwest gearbeitet.
Edeka hat damals immer einen nachhaltigkeitstag gemacht. Weil „Nachhaltigkeit so wichtig ist für Mitarbeiter aber auch für unsere Gesellschaft“— Marionka (@momofan2208) May 29, 2022
An meinem ersten „Nachhaltigkeitstag“hatte ich mal wieder die Schicht von 6-20 Uhr und hatte kurz darauf ein burnout. Ich hatte die Chance eine Weiterbildung zu machen. Bin heute in meinem Traumberuf (war auch oft hart aber es ging irgendwie)
— Marionka (@momofan2208) May 29, 2022
Für viele geht das finanziell überhaupt nicht. Und das Arbeitsamt unterstützt null. Man muss es aus eigener Kraft schaffen. Mir sagte jemand „ich hätte halt reich geheiratet“ deswegen konnte ich umschulen. Selbst wenn du dich vom Boden hocharbeitest tritt dir nochmal
— Marionka (@momofan2208) May 29, 2022
Jemand nach. Und Spoiler: wir sind alles andere als (monetär) reich. Wir sind nur in der dankbaren Lage das etwas am Monatsende übrig bleibt
— Marionka (@momofan2208) May 29, 2022
Ich hätte nicht erwartet, dass der tweet so steil geht. Ich freu mich wenn es manche erreicht, den oft haben darüber nur Mitarbeiter Einblicke.
Ich will nochmal festhalten: ich will hier keinen Klassismus reich gegen arm darstellen.
Ich denke als aufmerksamer Mensch— Marionka (@momofan2208) May 30, 2022
Erkennt man das Kaufverhalten von (stamm)Kunden. Wer kauft am Ende des Monats überwiegend mit Pfandflaschen oder nur streng nach angeboten. Es gibt Kunden die schauen nicht mal auf den zuzahlenden Betrag, sondern legen nur die Karte hin. Man kann also schon
— Marionka (@momofan2208) May 30, 2022
Durch das Kaufverhalten auf die finanziellen Situationen schließen. Das sind aber nur Beobachtungen meinerseits und natürlich nur anekdotisch. Ich denke aber, dass viele Einzelhändler*innen ähnliche Erfahrungen machen
— Marionka (@momofan2208) May 30, 2022
Und noch etwas wichtiges: viele schreiben hier, sie schämen sich Gutscheine zu nehmen oder den Preis zu reklamieren. ich kenne nur vereinzelt ehemalige Kollegen die über Menschen und deren Kaufverhalten urteilen. (Es gibt immer Ausnahmen) ich habe nie darauf geachtet.
— Marionka (@momofan2208) May 30, 2022
Auch bei Coupons oder angeboten. Viele reklamieren da mal den Preis, gerade montags läuft dann das kassenupdate nicht und die Preise sind nicht hinterlegt. Macht euch deswegen bitte keine Gedanken. Es ist euer gutes Recht und kaum einer urteilt. Ich mache es ja nicht anders
— Marionka (@momofan2208) May 30, 2022
Das sagen andere User:
Man kann es drehen und wenden, wie man will, Armut ist ein systematisches Problem in dieser Gesellschaft. Ohne einen Politikwechsel wird sich auf lange Sicht nichts daran ändern. Als einzelne Person ist es nahezu unmöglich eine Veränderung anzustoßen. Warum allerdings die Handelsverbände nicht Druck auf die Politik ausüben, um die sinnlose Lebensmittelverschwendung endlich einzudämmen, bleibt ein Rätsel. Dass nicht alles gespendet wird, scheitert nämlich auch an unserem Steuersystem und an der Haftungsfrage. Beides Probleme, die sich leicht beheben ließen. Was die Leserinnen und Leser dieses Threads zu sagen hatten, wollen wir euch natürlich nicht vorenthalten. Ein paar der treffendsten Kommentare und Reaktionen haben wir hier für euch zusammengetragen:
Es ist echt schlimm. Containern durften wir auch nicht mehr dulden. Wir haben sonst immer weg gesehen und gut. In der nachbarfilliale hat der Verkaufsleiter sogar mal die Polizei geholt. Je unmenschlicher desto höher gehts auf der Karriereleiter
— Marionka (@momofan2208) May 29, 2022
Ich hab mich ehrlich gesagt damals immer nur für meinen AG geschämt. Zu Schluss vorallem weil wir auch nichts mehr groß reduziert weitergeben werden konnten. Schlimm ist auch EDEKA wirbt mit „wir lieben Lebensmittel“ ist aber ganz vorne mit dabei wenn’s ums wegschmeißen geht
— Marionka (@momofan2208) May 29, 2022
Ich erlebe, dass alle Gesellschaftsschichten ihr Pfand weg bringen bei uns (oder eben auch nicht).
Was ich aber auch erlebe ist eine ältere Dame, die regelmäßig Pfand sammelt und zurück gibt, weil sie ihren Katzen was kaufen möchte, teurere Leckerlis etc 💔
— Lars Butnotleast (@larsselzer) May 30, 2022
Das mit den Lebensmitteln kann ich so bestätigen. Ich arbeite am Flughafen der laden verkauft unter anderem Sandwich und Obst und sushi. Es kommt in manchen Zeiten viel zu viel so das wir gerade bei Obst und sushi mega viel entsorgen. Verschenken oder mitnehmen dürfen wir nix.1/2
— Maggy (@Maggy56989442) May 30, 2022
Ich kann mich noch gut daran erinnern, als wir 4 Jahre lang von staatlicher Stütze zum Teilzeitjob leben mussten. Da musste ich öfter per Gutschein vom Amt dem Wocheneinkauf bezahlen.
Dass in Märkten so viel Ware weggeworfen wird, ist skandalös. Reiche sind oft mehr ego als Arme.— Daril Steelbone (@Darrior) May 30, 2022
Ich finde es toll, dass hier auch mal ansatzweise beschrieben wird, wie mies die Bedingungen im Einzelhandel sind- schlimme Arbeitszeiten, Druck von der Geschäftsleitung ( Umsatz, Umsatz, Umsatz…), belastendes Verhalten der Kunden und eine Bezahlung unter dem Existenzminimum.
— Diana Tillner (@DianaTillner) May 30, 2022
Ich frage mich immer, was ist für die Marktleitung so schlimm daran, wenn sie beim zbsp.Containern ,die Augen zudrücken. Oder ,warum wird zum Feierabend nicht #dieTafel informiert und die holen das Zeug ab. Geht irgendwie nicht in meinen Kopf.
— San Druscha (@sandruschas_) May 30, 2022
Es wird höchste Zeit, dass ein Gesetz vergleichbar mit dem in Frankreich verabschiedet wird, dass Lebensmittel nicht weggeworfen werden dürfen.
— Chris Hauser (@chrisgrainnee) May 30, 2022
Danke für Deinen Thread. Den wenigsten ist klar, daß Ketten wie EDEKA und REWE (samt Töchtern) letztlich nur Filialen von Großkonzernen sind und sich so verhalten.
Kunden und Personal werden im wesentlichen als Störung bei der Gewinnmaximierung gesehen.
Danke an das Personal!!!
— cleverle🔴 Filbingerflüchtling 💉💉💉 (@s_cleverle) May 29, 2022
Das Schlimme ist, das alles, was du schreibst ist wahr. Es ist die nackte Realität in Deutschland. Und da müssen sich die, die im warmen Nestchen sitzen nicht wundern, wenn es Menschen gibt, die sich absondern, gewalttätig werden und randalieren. Das ist eben das Ergebnis.
— Alexia (@Alexia91017528) May 30, 2022
nach innen treten sie ihre eigenen Leute mit Füßen. Wertschätzung gleich null. Von wegen weniger Plastik. Es ist alles eher mit noch mehr Plastik verpackt, als vor dem Versprechen, künftig darauf zu verzichten. Zieht sich durch alle Branchen. Es zählt nur Profit.
— BoernyOnAir 🏴☠️🏳️🌈🇩🇪🇪🇺 (@BoernyA) May 29, 2022
Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit! Wenn ihr mögt, schaut doch hier noch rein: