Thread: Keine Hefe? Zeit für Sauerteig!
Da Hefe aktuell ähnlich vergriffen ist wie Klopapier, Konserven und Nudeln, ja sogar auf eBay zu abartig hohen Preisen verscheuert wird, hat Mike Beckers diesen schönen Thread verfasst, in dem er euch verrät, wie man auch ohne diese ganz wunderbar Brot backen kann. Einziger Haken an der Sache: Ohne Mehl geht natürlich gar nichts.
In vielen Supermärkten ist im Moment sowohl trockene als auch frische Hefe ausverkauft. Aber wer daheim etwas Zeit investiert, braucht für 🍞 keine kaufen. Und weil wir alle gerade mehr Zeit daheim verbringen, dachte ich: Gute Gelegenheit für einen Thread zu – Sauerteig! (1/17)
— Mike Beckers (@mimimibe) March 21, 2020
Vor 1 Jahr habe ich aus Experimentierfreude Sauerteig angesetzt, und seitdem backe ich jedes Wochenende ein Brot. Vielleicht findet ihr ja selbst etwas willkommene Zerstreuung in so einem kleinen Küchen-Forschungsprojekt. Es ist erstaunlich einfach. Hier meine Erfahrungen. (2/17)
— Mike Beckers (@mimimibe) March 21, 2020
Erst die Basics: Sauerteig ist eine seit Ewigkeiten bekannte, coole mikrobiologische Gemeinschaft von Milchsäurebakterien und Hefepilzen, die sich gegenseitig Enzyme und Nährstoffe zuschieben. Gemeinsam verarbeiten sie die Stärke im Mehl zu backtreibendem Gas – und Aroma! (3/17)
— Mike Beckers (@mimimibe) March 21, 2020
Entstehendes CO2 lässt den Teig aufgehen – das ist der gewünschte Effekt für fluffiges Brot. Aber es passiert noch mehr. Die von den Bakterien produzierten Säuren reagieren mit Alkohol von der Hefe zu Estern, die lecker riechen (mehr dazu in @Fischblog’s Whiskyvorträgen). (4/17)
— Mike Beckers (@mimimibe) March 21, 2020
Die Säure macht das Brot haltbarer und sorgt im Fall von Roggenteig dafür, dass sich überhaupt ein stabiles Gerüst bilden kann, da sie Stärkeabbau-Enzyme im Roggen hemmt. Sauerteig ist bekömmlicher, weil die Reifung einige manchmal unverträgliche Moleküle im Mehl abbaut. (5/17)
— Mike Beckers (@mimimibe) March 21, 2020
Na gut, wie kommt man jetzt also an einen Sauerteig? Die einfachste Art: Warten. Milchsäurebakterien und Hefen schwirren überall herum. Wenn man Mehl (klassisch: Roggenvollkorn) und Wasser mischt und offen stehen lässt, lassen sie sich nieder und vermehren sich. 🦠🦠🦠 (6/17)
— Mike Beckers (@mimimibe) March 21, 2020
Nach ein paar Tagen sollte der Mehlbrei Blasen werfen. Riecht er angenehm: Glückwunsch! 🏆 Macht damit weiter. Wenn er stinkt oder schimmelt, haben sich die falschen Organismen durchgesetzt. Ich wollte meine Chancen von Anfang an verbessern und habe getrickst – mit Bier! (7/17)
— Mike Beckers (@mimimibe) March 21, 2020
Bier ist eine großartige Erfindung und geht schon seit Jahrtausenden Hand in Hand mit Brotherstellung. Beide Nahrungsmittel basieren auf den gleichen Hefen. Flaschengereiftes Bier (Symbolbild) enthält noch aktivierbare Hefen, also habe ich etwas ins Gemisch gekippt. (8/17)
— Mike Beckers (@mimimibe) March 21, 2020
Ich habe das mit verschiedenen Bieren gemacht. Nach wenigen Tagen sieht eine Mixtur aus viel Wasser, Mehl und etwas Bier dann so aus. Die Hefe arbeitet sichtbar, und man erkennt, warum sie „obergärig“ genannt wird – sie schwimmt Blasen werfend obenauf. (9/17)
— Mike Beckers (@mimimibe) March 21, 2020
In dem Zustand kann man das Gemisch dann mit mehr Mehl zu einem flüssigen Teig andicken. Damit hat man schonmal aromatische Hefe sicher. Dann täglich teelöffelweise mit frischem Mehl und Wasser füttern, bis Geruch und Blasenbildung über Tage stabil bleiben. (10/17)
— Mike Beckers (@mimimibe) March 21, 2020
Nach grob einer Woche hat man dann eine stabile Lebensgemeinschaft, in der sich die wünschenswerten Mikroorganismen durchgesetzt haben. Dann braucht der Sauerteig weniger Pflege. Ich habe ihn im Kühlschrank und aktiviere und füttere ihn einmal wöchentlich. (11/17)
— Mike Beckers (@mimimibe) March 21, 2020
Dazu hole ich ihn aus dem Kühlschrank, rühre 1-2 Teelöffel Mehl unter, lasse ihn über Nacht warm stehen und stelle ihn dann zurück. Regelmäßig entnehme ich etwas von dem Teig zum eigentlichen Zweck, dem Brotbacken. (12/17)
— Mike Beckers (@mimimibe) March 21, 2020
Für Sauerteigbrote gibt es drölfzig Milliarden verschiedene Rezepte. Anfangs lohnt es sich, rumzuprobieren. So lange der Ursprungs-Sauerteig gut gepflegt bleibt, kann nichts passieren. Meine ersten Versuche waren oft eigenwillig. https://t.co/DZRYtwaMyz (13/17)
— Mike Beckers (@mimimibe) March 21, 2020
Inzwischen habe ich für meine Zwecke ein gutes Basisrezept entwickelt, das ich flexibel abwandeln kann (verschiedene Mehlsorten, Kümmel und sonstige Gewürze, Zusätze wie Nüsse, …). https://t.co/YHHbY7C62E (14/17)
— Mike Beckers (@mimimibe) March 21, 2020
Ich habe vier Sauerteige auf Basis verschiedener Hefen und Mehlsorten (siehe Video am Anfang), die ich strikt trenne, um deren individuelle Aromen zu bewahren. Super als Gefäße: Weckgläser ohne Gummi. Jedenfalls nie dicht schließen – Gase müssen entweichen können! (15/17)
— Mike Beckers (@mimimibe) March 21, 2020
Mein Rezept für 1 kleines Brot zusammengefasst: je 50 g Kühlschrank-Sauerteig, Mehl, Wasser mischen, mehrere Stunden reifen lassen. Mit 400 g Mehl, 150 ml Wasser und 10 g Salz verkneten. Wieder gehen lassen (über Nacht, oder sogar 24 h) und 45 min bei 250 °C backen. (16/17)
— Mike Beckers (@mimimibe) March 21, 2020
Je mehr Zeit das Brot vor dem Backen zum Garen hat, desto aromatischer (und saurer) wird es. Das sind dann aber alles Dinge, die von Rezept, Temperatur und Erfahrung abhängen. Erstmal hoffe ich, euch Lust gemacht zu haben, das überhaupt mal auszuprobieren. Viel Spaß! 🙂 (17/17)
— Mike Beckers (@mimimibe) March 21, 2020