Thread: In vier Wochen beginnen die Ferien
Wenn man durch soziale Medien scrollt, bekommt man unweigerlich den Eindruck, dass Elternschaft im Prinzip aus einer Aneinanderreihung von gewitzten Wortwechseln, kreativem Chaos und unendlicher Liebe besteht. So erstrebenswert diese Mischung ist, so unrealistisch sind diese Momentaufnahmen natürlich, zumindest im Gros betrachtet. In etwa wie eine Werbung für Chips, bei der sich fünf Menschen glücklich eine einzige Packung teilen, nirgendwo ein Krümelchen liegt und keiner Sodbrennen bekommt. Selbstverständlich ist das Familienleben lohnenswert und für die meisten Menschen eine Sehnsuchtserfüllung, dennoch darf man nicht vergessen, dass es unweigerlich einen Rucksack voller Verpflichtungen mit sich bringt. Stress, Streit, Frustration, Sorgen, Unzufriedenheit, Versagensängste und das permanente Gefühl, niemals im Leben allem gerecht werden zu können – Eltern könnten Bücher damit füllen. Wenn sie Zeit dazu hätten!
Und während Mamas und Papas Tag für Tag ihr Bestes versuchen, kommen manche an irgendeinem Punkt zu der Feststellung, dass sie den Anforderungen der Elternschaft einfach nicht gerecht werden können. Besonders Frauen, denen immer wieder vermittelt wird, die Mutterschaft wäre der Gipfel ihrer Existenz, fällt dieser Schritt nicht leicht. Zu groß sind innere Konflikte und natürlich die Furcht vor sozialer Ächtung. Dabei ist die Erkenntnis, so verstörend sie für viele sein mag, vor allen Dingen eins: ehrlich. Und die Voraussetzung dafür, das Familienleben so zu gestalten, dass die Bedürfnisse der Kinder keinesfalls unter die Räder geraten. Zu dieser Einschätzung kam auch Twitteruserin @IamJ9_. Dies ist ihr mutiger Thread:
🧵
In 4 Wochen beginnen die Ferien hier, danach wird es anders bei uns im Haus. Das Kind wird zu seinem Vater ziehen. Und ich freue mich. Mir liegt das Muttersein nicht, hat es nie. Diese Erfüllung, die andere spüren, ich fühle sie nicht. Auf jeden kurzen schönen Moment— JayNine (@IamJ9_) June 24, 2023
folgen immer wieder stressige und anstrengende Episoden. Und Ärger. Von außen. Von innen. Ich kann ihm nicht das Elternteil sein, das er braucht. So wie es jetzt ist, sind 2 Menschen unglücklich. Der Vater freut sich, sein Kind dann viel um sich zu haben. Er kann
— JayNine (@IamJ9_) June 24, 2023
das viel besser. Das kind selbst ist hier mit mir auch nicht glücklich und freut sich schon sehr. Es gibt und gab keinen Grund ihm den Umzug zu verwehren. Ich möchte ja das er glücklich wird, und das ist eben nicht bei mir. Wenn ich anderen davon erzähle, denken alle immer
— JayNine (@IamJ9_) June 24, 2023
das es schlimm für mich ist. Ist es aber nicht. Schlimm ist nur die Einsicht, das man keine richtige Mutter sein kann und auch nicht will. Und ich bin froh, dass wir nun einen Weg gehen werden, der für alle gut ist.
— JayNine (@IamJ9_) June 24, 2023
Und bisher kein „das weiß man bevor man ein Kind bekommt“ oder Ähnliches. Ihr seid toll 🫶🏼
— JayNine (@IamJ9_) June 25, 2023
So reagieren andere Userinnen und User:
Das Phänomen, die Mutterschaft zu bereuen, wird seit einigen Jahren unter dem Schlagwort „regretting motherhood“ öffentlich und auch wissenschaftlich diskutiert. Eine gute Entwicklung, wie wird finden, denn sie fördert auch den ehrlichen Umgang mit der Herausforderung, denen Eltern – insbesondere Mütter – unweigerlich ausgesetzt sind. Besonders in den Corona-Jahren, in denen die Mehrfachbelastung kaum mehr zu stemmen war, stieg der Anteil derjenigen Eltern, die sich im Nachhinein gegen Kinder entschieden hätten, statistisch nachweisbar an. Dabei sind es selbstverständlich nicht nur Mütter, die leiden. Voraussetzung, dass eine Lösung gefunden wird, die dem Nachwuchs gerecht wird, ist vor allem eins: der Mut, ehrlich zu sein und zu kommunizieren, dass man Hilfe braucht. Genau dafür bekam der Thread jede Menge Zuspruch von Twitteruserinnen und -usern.
Verständnis – so wichtig
Ich denke das es auch viele Mütter gibt, die sich nichts besseres vorstellen können. Wichtig ist, das beide Seiten und alle dazwischen sich verstehen. Danke für deine lieben Worte 🫶🏼
— JayNine (@IamJ9_) June 25, 2023
Wir haben nachgeschaut: nirgends
Ich finde es sehr mutig von dir, deine Gedanken und Gefühle dazu hier so offen zu legen. Es ist toll für alle (dich, das Kind, den Vater), dass ihr eine Lösung habt, die für alle von Vorteil ist. Wo steht denn, dass Kinder immer bei der Mutter sein müssen, um glücklich zu sein?
— Kaiserin des Tages (@Tageskaiserin) June 25, 2023
Wie viele Frauen wohl stumm leiden?
Ich finde diesen Thread sehr berührend, weil Du ehrlich bist und Dich nicht in eine Rolle zwängen lässt, die Dir gesellschaftlich zugewiesen wird, weil Muttergefühle und so. Ich glaube, dass diese Ehrlichkeit sehr gesund ist und viel weniger Schaden anrichtet💜💜
— Frei wie der Wind (@FreiImWind) June 25, 2023
Dafür muss man sich nicht rechtfertigen
Ich hatte es zumindest geahnt, weil mir Selbstbestimmtheit extrem wichtig ist, und mich deshalb gegen ein Kind entschieden. Immer wurde mir vorausgesagt, dass ich das eines Tages bereuen würde. Nie schien es jmdm in den Sinn zu kommen, dass man auch die andere Wahl bereuen könnte
— Lazy Cuttlefish (@lazycuttlefish) June 25, 2023
Es wäre allen Eltern in dieser Situation zu wünschen!
Ich fühle das so sehr. Ich glaube, wir sind uns da sehr ähnlich. Klar, ich liebe mein Kind, aber eine gute Mutter bin ich nicht. Wie du schreibst, dass Muttersein liegt mir nicht und diese Erkenntnis zerbricht einem das Herz.
Schön, dass ihr einen Weg gefunden habt. 💜— SahneTorteSpeck (@SahneSpeck) June 25, 2023
Es muss nicht das Ende der Familie sein
Vor ein paar Jahren sind wir denselben Weg gegangen. Die beste Entscheidung ever. Kind und Mutter haben früher gestritten wie die Kesselflicker, jetzt sehen sie sich nur noch jedes 2. Wochenende und sind ein Herz und eine Seele.
Ich drücke Euch die Daumen.— Chris Tex (@ctxtoris) June 25, 2023
Auch darüber sollten wir reden
Ich kann dir das gut nachfühlen. Ich war auch nie die ‚gute‘ Mutter, aber leider hat der Vater sich schon früh verabschiedet, sodaß es keine Möglichkeit gab, darüber nachzudenken, was das beste für meine Tochter gewesen wäre.
— Lele Schirmeister @[email protected] (@abertrotzdem) June 25, 2023
Eltern sein ist hart!
Mütter machen sich untereinander leider zu viel Druck. Du DARFST da gar nicht anders denken 🙄 und drüber reden auch nicht
(Fühl dich umarmt, wenn du magst)— JayNine (@IamJ9_) June 25, 2023
Von der schwierigen Aufgabe, eigene Grenzen zu setzen und zu wahren, handelt auch der folgende Thread: