In London mit meinen Eltern
Vor einigen Monaten haben wir Abschied genommen von Königin Elisabeth II., die über sieben Jahrzehnte hinweg das Vereinigte Königreich mit Würde und Pflichtbewusstsein regierte. Trotz ihres Ablebens bleibt ihr Andenken in den Herzen der Menschen lebendig, und dies spiegelt sich in dem anhaltenden Strom von Besuchern wider, die zu ihrer finalen Ruhestätte pilgern. Die Grabstätte der Queen ist zu einem Ort der Ehrerbietung, des Gedenkens und der Reflexion geworden. Inmitten der prächtigen Architektur und dem majestätischen Ambiente suchen die Menschen Trost oder Inspiration und natürlich wollen sie auch ein paar Fotos zum Andenken machen. Unter ihnen ist der Twitteruser und Autor @plbkwsk gewesen, der diesen Ort im Schlepptau seiner Eltern betreten und folgende aberwitzige Anekdote zu berichten hat. Aber lest am besten selbst.
Ich war die letzten 2 Wochen in London. Und weil meine fleißigen, polnischen Arbeiter-Eltern nur wenig von der Welt gesehen haben, habe ich angeboten, Mutter & Vater für ein paar Tage in die britische Hauptstadt zu holen. Es folgt mein Highlight dieser Reise. Ein royaler #Thread.
— Paul Bokowski (@plbkwsk) August 20, 2023
Es gibt einen großen Grund, warum meine Eltern unbedingt nach England wollten: Mutter & Vater sind als langjährige ZDF-Zuschauer erpicht darauf, Windsor Castle zu besuchen. Allem voran das Grab der kürzlich verstorbenen Königin Elizabeth II. Besonders Vater ist versessen darauf.
— Paul Bokowski (@plbkwsk) August 20, 2023
Aber nichts leichter als das. Besonders, wenn man eh schon nach London kommt. Also werden Zugtickets gebucht, Eintrittskarten besorgt, Lunchpakete gepackt und ab mit Mutter & Vater nach Windsor Castle. Halber Tagestripp. Gute Anbindung. Kurze Wege. Easy, wie der Franzose sagt.
— Paul Bokowski (@plbkwsk) August 20, 2023
Das Gelände ist weitläufig. Trotzdem ist es voll und trubelig. Überall muss man anstehen. Dass die St. George’s Chapel, wo die Königin liegt, um 16 Uhr schließt, stresst meinen Vater. Es ist elf Uhr. Also lassen wir das Schloss erstmal links liegen und marschieren zur Kapelle.
— Paul Bokowski (@plbkwsk) August 20, 2023
Sofort dämmert uns, dass wir nicht die einzigen sind, die wegen der beliebten, ewigen Monarchin hier aufgekreuzt sind. Aber die Schlange zur Kapelle kommt zügig voran. Bald wird auch klar, warum: Effizienz. Der ganze Laden brummt wie eine gut geölte gotische Maschine.
— Paul Bokowski (@plbkwsk) August 20, 2023
Ordner*innen in tiefroten, klerikalen Gewändern scheuchen die zahlreichen Gäste freundlich, aber bestimmt durch das Kirchenschiff. Je größer der Andrang, umso besser greift das nahtlose System von lotsenden Händen. Zweimal rechts herum, dann geradewegs zur Grabstelle.
— Paul Bokowski (@plbkwsk) August 20, 2023
Je näher wir der Grabstätte kommen, desto größer wird die Dichte der purpurroten Angestellten. Der Laden sieht aus wie eine Mischung »The Handmaid’s Tale« und einem Apple Store. An jeder Säule hängen laminierte Poster, die das Fotografieren ausdrücklich verbieten. VER-BIE-TEN!
— Paul Bokowski (@plbkwsk) August 20, 2023
Ein letzter Rundbogen, dann sind wir da. Hinter einer gusseisernen Absperrung, brusthoch, die Grabnische. Es gibt nicht viel zu sehen. Kein Mausoleum, keine Särge, keine Büsten. Nur eine Marmorplatte, mit vier eingravierten Namen, der jüngste Schriftzug: Elizabeth II.
— Paul Bokowski (@plbkwsk) August 20, 2023
Verweilen geht nicht. Eine Ordnerin hinter uns scheucht, eine vor uns lotst. Drei Sekunden Wandeln, dann ist die Show vorbei. Die Eltern sind enttäuscht. Vater besonders darüber, dass man nicht fotografieren durfte. Mir kommt eine Idee. Drehen wir das Ründchen einfach nochmal.
— Paul Bokowski (@plbkwsk) August 20, 2023
Also raus, neu angestellt, Elizabeth die Zweite. Die Eltern werden mutiger. Verzögern das Schleichen vor der Grabplatte auf fünf Sekunden. Mutter bleibt sogar stehen, um sich zu bekreuzigen. Du Blenderin, denke ich. Kaum sind wir wieder raus, will Vater eine dritte Runde drehen.
— Paul Bokowski (@plbkwsk) August 20, 2023
Er habe alles taxiert. Heimlich Fotos machen wäre kein Problem. Ich sage ihm, dass es offizielle Bilder gibt. Ausgeleuchtet, hochauflösend. Okok, sagt Vater, grinst & bettelt um eine letzte Runde. Einverstanden. Soll das Göhr halt auf die Herdplatte packen, wenn es so gerne will.
— Paul Bokowski (@plbkwsk) August 20, 2023
Elizabeth, die Dritte. Schon im Hauptschiff gelingt es Vater, den Gang der gesamten Kolonne zu drücken. Kurz vor dem Rundbogen lässt er sich zurückfallen, an der Grabstätte angelangt gelingt es ihm irgendwie, hinter die erste Ordnerin zu schlüpfen. Hinein in ihren Windschatten.
— Paul Bokowski (@plbkwsk) August 20, 2023
Vater trippelt auf der Stelle um Bewegung anzudeuten. Dann macht er seinen Move. Mit grellem Display hebt er sein iPhone in die Höhe. Nicht dezent, nicht körpernah, sondern mit langen Armen. Nur der gescheitelten Frisur der Ordnerin ist es zu verdanken, dass er damit durchkommt.
— Paul Bokowski (@plbkwsk) August 20, 2023
Dann passiert es. Vater macht drei Fotos. Nicht mit Blitz. So viel sei ihm zugestanden. Aber mit dem herrlich anachronistischen Kamera-Sound seines iPhones. KLICK, KLICK, KLICK schallt es durch die andächtige Stille vor der Grabstätte. KLICK! KLICK! KLICK!
— Paul Bokowski (@plbkwsk) August 20, 2023
Dreißig Menschen fahren herum. Vor uns wie hinter uns. Touristen aus der ganzen Welt. Nicht zuletzt die beiden Ordnerinnen. Die lockende und die scheuchende. Letztere fährt meinen Vater an. Staucht ihn in einer Gestik und Mimik zusammen, die jede Sprachbarriere übertrumpft.
— Paul Bokowski (@plbkwsk) August 20, 2023
Im Kopf zähle ich mit, wie viele Sekunden Standpauke mein Vater verdient hat. Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig, dann werde ich weich, trete dazu und deeskaliere, was es noch zu deeskalieren gibt. Ich entschuldige mich mehrfach, aber den Ordnerinnen reicht das nicht.
— Paul Bokowski (@plbkwsk) August 20, 2023
Erst als wir die Bilder gelöscht haben, lässt man uns grimmig ziehen. Dass die Ordnerinnen nicht wissen, dass auf dem iPhone gelöschte Fotos nicht final gelöscht sind, überrascht mich etwas. Dass Vater es nicht weiß, das war mir klar.
— Paul Bokowski (@plbkwsk) August 20, 2023
Auf den letzten Metern durch die Kapelle überlege ich mir gut, ob ich seine Dreistigkeit und Dilettanz belohnen soll. Herdplatte und Zuckerbrot? Aber draußen, im Sonnenschein, während Vaters Augen traurig funkeln, überkommt mich Mitleid oder Güte.
— Paul Bokowski (@plbkwsk) August 20, 2023
In einer schattigen Ecke bergen wir die Fotos aus dem »gelöschte Ordner«. Vater schirmt mich ab, als würde ich im Innenhof von Windsor mal eben Heroin drücken. Schnell sind die Fotos gefunden und ich sag mal so: Annie Leibovitz ist nichts dagegen.
— Paul Bokowski (@plbkwsk) August 20, 2023
Von den drei Fotos ist das hier noch das Beste. Vater ist enttäuscht. Maßlos enttäuscht. Ein gebrochener Mann. Seine große Chance verwirkt. Ich kann mir ein Lachen nicht verkneifen. Sofort will er weiterziehen, da fällt uns auf, wie Mutter uns mustert. Wie sie grinst, dann lacht.
— Paul Bokowski (@plbkwsk) August 20, 2023
Im Trubel der Kapelle, im Sturm aus Zorn & Züchtigung, hat Mutter unbemerkt von allen das perfekte Foto gemacht. Ocean’s Eleven. Das polnische Remake. Vater gluckst vor Freude, küsst Mutter auf die Stirn & wenn er schlagfertig gewesen wäre, hätte er »meine Königin« zu ihr gesagt.
— Paul Bokowski (@plbkwsk) August 20, 2023
Stolz überkommt mich. Ich weiß nicht warum. Ich deute meinem Vater an, mich nochmal abzuschirmen. Dann schicke ich das makellose Foto via AirDrop erst zu ihm, dann mir. Für alle Fälle. Verschwörerisch schauen wir uns um, nicken und gehen auseinander, als wäre nichts gewesen.
— Paul Bokowski (@plbkwsk) August 20, 2023
👑
— Paul Bokowski (@plbkwsk) August 20, 2023
Kommentare und Reaktionen:
Was für eine herrlich erfrischende Geschichte! Und, wie hätten sich eure Eltern verhalten? Schreibt’s in die Kommis, wenn euch das irgendwie bekannt vorkommt oder ihr etwas ähnliches zu berichten habt. Ein paar der treffendsten Reaktionen und Kommentare haben wir hier für euch zusammengetragen:
Gewohnte Qualitätsreportage. Als wären wir live mit mutti und vati vor Ort. 😅😂
— easy urbanizer (@easy_urbanizer) August 20, 2023
Ich feiere deine Mutter gerade sehr. Und vielleicht stellst du die Kamera beim iPhone deines Vaters leise. Es sei denn, deine Mutter will mit solchen Aktionen in Serie gehen 😃
— Susanne Fischer 💛 (@SFischer65) August 20, 2023
Ich mag mir gar nicht ausmalen was Ihre Eltern im Vatikan bei Papst Johannes Paul II erleben 🙃🤗
— Hantelmann 🏳️🌈👨🏼🤝👨🏻🏈😎 (@hantelmann99) August 20, 2023
Großes Kino! 🤣🤣🤣 Ich wette, die Queen hätte amüsiert gekichert. 🤭
— Die_Klimt_Katzen (@Klimt_Katzen) August 20, 2023
Haha, tolle Geschichte! 👍 ❤️
Ich fand es vor vielen Jahren beim Besuch der Sixtinischen Kapelle (Vatikan) ähnlich „schlimm“, dass fotografieren nicht erlaubt war (nachdem wir STUNDENLANG angestanden waren!)😡Habe auch heimlich Fotos gemacht🫣, die nicht so toll wurden 🤯🤣😵
— 🌸Rosaluna🌸😷💉 (@RosalunaNY) August 20, 2023
Danke – ich hab so gelacht. Bitte verfilmen – wenns geht mit Rowan Atkinson! 🤣
— Tinka4440 (@Tinka4440) August 20, 2023
Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit! Passend dazu hätten wir noch das: