Die Geschlechteridentität ist eine komplexe und individuelle Facette, die das Selbstbild und die Wahrnehmung eines Menschen betrifft. Für Transmenschen kann die Reise der Selbstakzeptanz und des Ausdrucks ihrer Identität äußerst schwierig sein. Sie kämpfen oft mit zahlreichen Herausforderungen, die von Mobbing und Ausgrenzung bis hin zur Ablehnung innerhalb der eigenen Familie reichen. Deswegen ist es wichtig, Empathie und Verständnis für ihre Situation zu zeigen und ihnen die Unterstützung zu bieten, die sie benötigen, um ein erfülltes Leben führen zu können. Denn die Angst vor dem Coming-out und der mögliche Verlust von Freunden, Familienmitgliedern oder sogar des Arbeitsplatzes führen zu einer großen psychischen Belastung. Ihre Ängste und Sorgen beeinträchtigen nicht nur die psychische Gesundheit, sondern auch ihre Fähigkeit, ein normales und erfülltes Leben zu führen. Das Gefühl der Isolation und der fehlenden Akzeptanz können dazu führen, dass sich Trans-Menschen unsichtbar und allein fühlen.
Besonders schmerzhaft ist es, wenn Transpersonen Ablehnung und Ignoranz innerhalb der eigenen Familie erfahren. Der familiäre Rückhalt ist für das Wohlbefinden eines Menschen von entscheidender Bedeutung. Wenn Familienmitglieder die Geschlechteridentität nicht akzeptieren oder ablehnen, kann dies zu einem enormen emotionalen Schmerz und zu einem tiefgreifenden Verlustgefühl führen. Transmenschen brauchen Liebe, Unterstützung und Akzeptanz von ihren Familien, um ein erfülltes und glückliches Leben führen zu können. Leider ist genau das nicht immer der Fall, weswegen sie auf die Hilfe Dritter angewiesen sind. Wie gut, dass es Menschen wie die Twitteruserin @Kinderdoktorin gibt. Lest selbst.
Ich möchte Euch von Karl erzählen (Name und einzelne Details wurden natürlich verändert, wegen der Wiedererkennung).
Karl ist mein Patient seit Geburt. Ein bis dato unkomplizierter Patient, alles Durchschnitt. Unauffällige Vorsorgeuntersuchungen, keine Aufälligkeiten.
— Kinderdoktorin (@Kinderdoktorin) May 12, 2023
Jetzt ist er 14 und als er vor ein paar Monaten zur J1 kommt, war er schon einige Jahre nicht mehr da gewesen und ich habe kein konkretes Bild vor Augen.
Im PC steht der Patientenname Karla, vor mir sitzt ein junger Mensch mit kurzen Haaren, Jeans und T‘Shirt. Wirkt verschlossen.— Kinderdoktorin (@Kinderdoktorin) May 12, 2023
Nichts Ungewöhnliches für eine J1-Untersuchung. Die Mutter hatte im Vorfeld angekündigt, dass es Schulprobleme gäbe, Karla hätte öfters geschwänzt und die Schule würde jetzt Ärger machen. Darüber sollten wir doch bitte sprechen.
Wir unterhalten uns, kommen holprig ins Gespräch.
— Kinderdoktorin (@Kinderdoktorin) May 12, 2023
Ich frage nach Hobbys,
einsilbige Antworten. Spreche direkt die Schulprobleme an. Ja, es gäbe Mobbing, wäre doch klar, dass man da keinen Bock hätte, in die Schule zu gehen…
So kommen wir nicht weiter!
Also erstmal die körperliche Untersuchung. „Ziehst Du bitte Dein Shirt aus.“— Kinderdoktorin (@Kinderdoktorin) May 12, 2023
Zögern. Ich sehe eine Brustbandage… und frage: „Sag mal, wie soll ich Dich eigentlich ansprechen?“ „Ich bin Karl.“ „Okay, Karl. Lass das T‘Shirt an, ich kann Dich auch so abhören.“
Nach der Untersuchung sitzt Karl mir wieder gegenüber und es hat sich was verändert. Da ist— Kinderdoktorin (@Kinderdoktorin) May 12, 2023
plötzlich die Bereitschaft zu erzählen. Seit „immer“ fühlt er sich „anders“, seit der Grundschule weiß er, dass es was mit dem Geschlecht zu tun hat. Es hätte nie den Raum gegeben darüber zu sprechen, nicht mit den Eltern, nicht in der Schule, nicht mit Freunden. Das Thema habe
— Kinderdoktorin (@Kinderdoktorin) May 12, 2023
einfach nicht existiert.
In der Coronazeit wäre er dann viel „im Netz unterwegs“ gewesen und habe das erste Mal wahrgenommen, dass es noch andere gibt, wie ihn. Über Insta habe er Jugendliche kennengelernt und die sobald es ging auch im Reallife getroffen. Alles, ohne dass— Kinderdoktorin (@Kinderdoktorin) May 12, 2023
Irgendjemand aus seinem bisherigen Leben das mitbekommen hat. Mit 14.
Dort hätte er das 1. Mal sagen können „ich bin Karl“ und es sei okay gewesen.
Vor ein paar Monaten dann das „Outing“. Karl stellt sich eines Morgens vor seine Schulklasse und sagt „Ey, Leute, ab heute bin ich— Kinderdoktorin (@Kinderdoktorin) May 12, 2023
Karl und ich möchte, dass Ihr mich so nennt.“ Stattdessen nennen sie ihn „Transe“. Die Mutter (der Vater lebt inzwischen woanders) wird in die Schule zitiert. Gespräch zu Hause. „Das ist alles eine Phase, hör doch mal auf damit, immer provozieren zu wollen. Wenn man sich
— Kinderdoktorin (@Kinderdoktorin) May 12, 2023
ausprobieren will, kann man sich auch einfach die Haare färben. Pubertäre Identitätssuche schön und gut, aber kannst Du es nicht einfach dabei belassen, Deutschrap zu hören, wie die anderen Kinder auch?!“ Das waren so in etwa die Reaktionen. Wir reden lange.Ich erzähle Karl alles
— Kinderdoktorin (@Kinderdoktorin) May 12, 2023
was ich über Geschlechtsidentität weiß. Es ist eine Menge, aber ich bin keine Expertin. Dass es Expert*innen gibt sage ich ihm auch.
Er ist einverstanden, dass ich mit der Mama spreche,möchte aber nicht dabei sein.Also hole ich die Mama, die im Wartezimmer sitzt (zum Glück ist
— Kinderdoktorin (@Kinderdoktorin) May 12, 2023
es der letzte Termin und wir haben Zeit).
Was dann folgt ist ein Desaster und tut mir körperlich weh. Für meine Selbstbeherrschung während dieses Gesprächs hätte ich einen Orden verdient!
Es wurde von „woker Beeinflussung“ geredet und davon, dass man doch selbst schuld sei, wenn— Kinderdoktorin (@Kinderdoktorin) May 12, 2023
man „sowas“ macht. „Transe“ sei doch dann nur die Wahrheit.
Es folgt eine Odysee eines 14, dann 15jährigen. Es sind viele unschöne Dinge passiert in den folgenden Monaten, auf die ich hier nicht näher eingehen möchte.
— Kinderdoktorin (@Kinderdoktorin) May 12, 2023
Doch irgendwie hat sich etwas zum Positiven gewendet in den letzten Wochen. Karl hat endlich einen Therapieplatz, eine Alternative zu seiner Schule und einen Freundeskreis, in dem er Karl ist.
Diese Woche kam er, weil er Halsschmerzen hat. Nach der Untersuchung unterhalten— Kinderdoktorin (@Kinderdoktorin) May 12, 2023
wir uns über die ersten Therapiesitzungen. Er erzählt, dass die Mutter ihn in Anwesenheit des Therapeuten zum ersten Mal Karl genannt hat.
Dann müssen wir noch eine Impfung nachtragen. Ich nehme den Impfausweis. Darauf steht der Name Karla. Wortlos nehme ich einen Stift,
— Kinderdoktorin (@Kinderdoktorin) May 12, 2023
streiche ihn durch und schreibe Karl darüber, trage die Impfung ein und gebe ihn zurück.
Karl verabschiedet sich mit einem breiten Grinsen.
Und ich denke mir, dass es für mich unvorstellbar geworden ist, ihn „Karla“ zu nennen.
— Kinderdoktorin (@Kinderdoktorin) May 12, 2023
Das sagen andere User:
Was lernen wir daraus? Es ist wichtig zu erkennen, dass niemand das Recht hat, jemand anderen wegen seiner Geschlechtsidentität zu verletzen oder zu diskriminieren. Jeder Mensch verdient Respekt, Anerkennung und die Möglichkeit, authentisch zu sein. Für Eltern sollte immer das Wohl des Kindes im Vordergrund stehen. Nachfolgend haben wir noch einige Kommentare und Reaktionen von Leserinnen und Lesern für euch gesammelt.
Genau das denke ich auch immer, wenn das Argument mit der Phase kommt. Was ist denn so schlimm daran, einen jungen Menschen auch „in einer Phase“ ernst zu nehmen?
— Kinderdoktorin (@Kinderdoktorin) May 12, 2023
Danke für das Teilen dieser Geschichte.
Ich verstehe solche Eltern nicht bzw. bin der Überzeugung, dass sie Angst vor der Reaktion der Gesellschaft haben.— https://mastodon.social/@anonykatz2210 (@anonykatz2210) May 12, 2023
Schade, dass manche Eltern und auch die Umgebung so sind. Ich habe zwei Fälle mitbekommen durch K3. Mitschüler (in) und beim Fußball. In beiden Fällen war es überhaupt keine Frage innerhalb der Gruppe und Eltern . Und die beiden sind glückliche Jungs statt unglücklicher Mädchen
— Micky Mouse 📯 (@MickyMo43687822) May 12, 2023
Zunächst einmal, vielen Dank dass Du uns das erzählt hast.
Unser Sohn (16) wurde auch als Mädchen geboren. Sehr schade, dass es immer noch Eltern gibt, bei denen (scheinbar) nicht das Wohl des Kindes vorrangig ist. Das ist, vielleicht, das größte Problem für alle Karl’s.— alter linker Sack📯 💉💉💉🏳️⚧️🏳️🌈🇩🇪🇺🇦🇮🇷 (@alterlinkersack) May 12, 2023
Danke für das Teilen von Karls Geschichte und deinen Umgang mit seiner Identität❤️Leider machen transMenschen da oft Erfahrungen die eher unschön sind. Es ist wichtig ein sicheres Umfeld zu schaffen und unsere Patienten ernst zu nehmen.
— Full Metal Anaesthetist 🦋🐊🏴☠️♀️ (@metalanaesthet) May 13, 2023
Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit! Wenn ihr mögt, schaut doch hier noch rein: