Thread: Ich kann das jetzt nicht verarbeiten
Triggerwarnung: Dieser Beitrag behandelt das Thema Tod.
Pflegefachkräfte sowie Ärztinnen und Ärzte stehen täglich vor vielen Herausforderungen. Der Fachkräftemangel, Sparmaßnahmen sowie der hohe Krankenstand haben die Belastung im Beruf deutlich erhöht. Denn es müssen verschiedene Tätigkeiten gleichzeitig bearbeitet und erhebliche Zusatzbelastungen in Kauf genommen werden. Dabei geht es nicht nur um die intensive Patientenversorgung oder das Schreiben der notwendigen Dokumentationen. Nein, es stehen auch Schichtübernahmen von Kolleg*innen an. Das führt zu enormen Stress- und Drucksituationen und bedeutet Überstunden. Diese bedeuten wiederum, dass für Erholung und Privatleben kaum noch Zeit ist. Damit bleibt allerdings auch noch etwas anderes auf der Strecke, nämlich das Verarbeiten von Patientengeschichten und ihren Schicksalen. In der Folge leidet die Psychohygiene des medizinischen Fachpersonals und es kommt immer häufiger und schneller zu Depressionen oder zu Burnouts. Dass man das nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte, das wollen wir euch anhand des nun folgenden Threads der Twitteruserin @MrsMaximum veranschaulichen. Aber lest am besten selbst.
Meine Patientin im Schockraum hat schwerste Verbrennungen und ein Inhalationstrauma.
Wir entscheiden auf Grund der Verletzungen sie nicht in ein Verbrennungszentrum zu bringen.
Sie wird in ihren letzten Stunden keine Schmerzen haben, sie wird einfach nicht mehr aufwachen.1/6
— Notfall Ente (@MrsMaximum) November 2, 2022
Nach dieser Entscheidung und der Verlegung der Patientin auf die Intensivstation trete ich wieder auf den Flur.
Ich kann jetzt keine Pause machen, meine Kollegen brauchen mich.
Ich nehme den nächsten RTW an.
Ein dementer älterer Herr, ängstlich und verwirrt.— Notfall Ente (@MrsMaximum) November 2, 2022
Seine Stirn ist Wund, die Haare fehlen auf einer Seite, er fragt immer wieder nach Inge.
Die Kollegen erzählen mir, dass er etwas kochen wollte und dabei irgendwie das Haus in Brand geraten ist.
Er wusste nicht was er tun soll, lief panisch umher.— Notfall Ente (@MrsMaximum) November 2, 2022
Als seine Frau vom einkaufen kam sah sie von weitem den Brand.
Sie ging ins Haus um ihn zu suchen.
Sie fand ihn im 1. Stock, schickte ihn zu den Nachbarn um die Feuerwehr zu rufen.
Er verstand nicht ganz, ging aber.
Warum sie das Haus dann nicht mehr verlassen konnte ist unklar.— Notfall Ente (@MrsMaximum) November 2, 2022
Inge wurde weit vor ihm eingeliefert, weil man zunächst versucht hat Angehörige zu finden die ihn vielleicht zum Hausarzt bringen können um ihm den Stress in der Klinik zu ersparen.
Es gibt keine Angehörigen.
Sie hat ihn gepflegt, ganz allein.— Notfall Ente (@MrsMaximum) November 2, 2022
Jetzt ist sie nicht mehr da.
Und er ist allein.Ich kann jetzt keine Pause machen, meine Kollegen brauchen mich.
Ich kann das nur kurz aufschreiben.
Ich kann das jetzt nicht verarbeiten.
Ich kanns aber auch nicht mit nach Hause nehmen.Danke, dass ichs hier abladen kann!
6/6
— Notfall Ente (@MrsMaximum) November 2, 2022
Oh wow, mit soviel Resonanz hab ich nicht gerechnet.
Vielen lieben Dank für das virtuelle Gruppenkuscheln und den vielen Zuspruch! Ihr seid der Hammer ❤
Der Fall ist schon ein paar Tage her, um die Patienten zu schützen twittere ich sowas nicht zeitnah.— Notfall Ente (@MrsMaximum) November 2, 2022
Das hat nun den „Vorteil“, dass ich euch verraten kann, dass „Inge“ bereits am nächsten Tag gehen konnte ohne nochmal aufzuwachen und ohne Schmerzen.
Ihr Mann kam von uns aus in die Kurzzeitpflege und dann hab ich die Spur leider verloren.— Notfall Ente (@MrsMaximum) November 2, 2022
Geschrieben hab ich den Text tatsächlich schon in dem Dienst und es hat mir geholfen bis ich nach Feierabend noch mit Kollegen drüber sprechen konnte.
Also auch mir geht es gut.
Solche Geschichten vergisst man nie, aber ich hab gute Strategien gefunden um damit umzugehen.— Notfall Ente (@MrsMaximum) November 2, 2022
Das sagen andere User:
Die gute Nachricht ist, die Autorin des Threads hatte zu einem späteren Zeitpunkt die Möglichkeit, das Erlebte zu verarbeiten. Ihr könnt euch sicher denken, dass das in Zeiten des Pflegenotstandes keine Selbstverständlichkeit ist. Nachfolgend haben wir noch ein paar der treffendsten Kommentare, Reaktionen und Antworten gesammelt. Wenn ihr mögt, könnt ihr uns wie immer einen Kommentar hinterlassen.
Mein Beileid. Sowas zu lesen fällt schwer. So etwas mit zu erleben muss noch weitaus schwerer sein.
Du weißt, wo du dich melden kannst?Pass auf dich auf. 🫂
— Melli van Derp (@xDmelli) November 2, 2022
Kein Träger in diesem Fall.
Und das macht es fast noch schlimmer.
Man macht gar kein Geld mit uns, wir sind einfach so egal 😕
Aber ja, ne Lobby brauchen wir!
Ist leider schwierig, da kommt viel Widerstand aus den eigenen Reihen…— Notfall Ente (@MrsMaximum) November 2, 2022
Herzbruchmoment auf allen Ebenen.
Ich wünsche dir eine Pause um zu atmen und zu verarbeiteten— ELasix 👩⚕️💊💉🏥 (@einfach_ela) November 2, 2022
Verdammt verdammt verdammt!
Das Inge wirklich in Ruhe und ohne Schmerzen gehen kann und das eine schnelle Lösung für den Pat. gefunden wird und jemand da ist, wer ihm hilft.
Das du und deine Kollegen heute noch eine Pause machen könnt, um das Ganze zu verarbeiten. 🖤— Nach müde kommt doof (@Wawu75) November 2, 2022
Lass es gerne hier. Danke dass ihr euch so gut um Inge kümmert und ihr das Ende einfacher macht. Ich wünsche dem älteren Herrn dass er es nicht mehr mitbekommt.
Brandverletzungen sind mein Endgegner, darum wurde es ne andere Fachrichtung.
— Anna (@AnnaKondaPsy) November 2, 2022
Ich ziehe meinen Hut an, um ihn dann vor dir zu ziehen. Es ist wahnsinnig, was ihr Ärzte und Ärztinnen bzw. Pflegekräfte und Helfer täglich leisten. Und dann muss man sich von einigen (hoffentlich Ausnahmefälle) Vollpfosten Beschimpfungen anhören, weil sie nicht direkt dran sind!
— DerDemWoSelbstKeinPassenderNameEinfällt (@MaikKraus6719) November 3, 2022
Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit! Wo wir gerade in der Pflege sind, schaut doch hier noch rein: