Thread: Ich habe schon länger was auf dem Herzen
Hinter jedem Menschen steht eine Geschichte. Wir alle haben unser Päckchen zu tragen. In unserer leistungsorientierten Gesellschaft treten persönliche Lebensumstände oftmals in den Hintergrund. Depressionen gelten zum Beispiel immer noch als Zeichen der Schwäche statt als das, was sie eigentlich sind: eine Erkrankung. Viele trauen sich nicht, darüber zu sprechen. Manchmal ist es nicht nur Scham, sondern auch die Angst, deswegen benachteiligt zu werden. Und weil es so wichtig ist, darüber zu sprechen, hat @JRehborn seine Geschichte öffentlich gemacht und diesen Thread geschrieben.
Ich habe schon länger was auf dem Herzen, worüber ich hier mal schreiben möchte.
Thread über Depressionen, einen Schlaganfall, ein nicht bestandenes Staatsexamen und warum ich darüber öffentlich schreibe.
— Johannes Rehborn 🏳️🌈 (@JRehborn) October 14, 2020
Kurz zu mir: Ich bin 35 Jahre alt. Mein Referendariat habe ich erst vor 2 1/2 Jahren mit 32 beendet. Am Ende meines Studiums war ich 29. Da ich mit 21 angefangen habe, habe ich statt 4 1/2 Jahren Regelstudienzeit 8 Jahre gebraucht.
— Johannes Rehborn 🏳️🌈 (@JRehborn) October 14, 2020
Warum war das so? Nun erstmal bin ich seit meines Jugend an einer chronischen Depression erkrankt. Die ist meistens nicht so schlimm, dass ich nicht aus dem Bett komme, aber an geregelte Lernpläne und 8 Stunden am Tag lernen war kaum bis gar nicht zu denken.
— Johannes Rehborn 🏳️🌈 (@JRehborn) October 14, 2020
Probeklausuren waren auch nicht wirklich drin, die haben mir unfassbare Angst gemacht.
Ich habe im Saarland angefangen und hatte da ein soziales (Jura) Netz, das mich unterstützt hat, mit denen ich zusammen gelernt und Hausarbeiten geschrieben habe. Das klappte gut.
— Johannes Rehborn 🏳️🌈 (@JRehborn) October 14, 2020
Zwischenzeitlich war ich im Saarland Semesterbester. Ich habe sogar ein Buch meines Professors für exzellente Studienleistungen bekommen. Wer mal bei Rüßmann Klausuren geschrieben hat weiß: Das war ein harter Hund. Aber er war fair.
— Johannes Rehborn 🏳️🌈 (@JRehborn) October 14, 2020
Dann bin ich nach Münster gegangen. Für die Liebe.
Aber ich hatte kein soziales Netz mehr. Und habe mir das dort nie im Jurabereich aufbauen können.
— Johannes Rehborn 🏳️🌈 (@JRehborn) October 14, 2020
Dazu ist durch die kurz später erfolgte Trennung und andere Gründe meine Depression, die ich im Saarland gut im Griff hatte, massiv ausgebrochen.
Ich bin im Repetitorium nicht mehr mitgekommen. Ich hatte niemanden, der mich zum lernen motivieren konnte.
Das war nicht gut.
— Johannes Rehborn 🏳️🌈 (@JRehborn) October 14, 2020
Ich bin dann durchs Examen gefallen. Knapp, aber deutlich genug um nichts juristisches tun zu können.
Das war gelinde gesagt für meine Depression nicht gut.
Ich hatte Panik vor der Uni. In Klausuren hatte ich Panikattacken. Ich war SO kurz davor abzubrechen.
— Johannes Rehborn 🏳️🌈 (@JRehborn) October 14, 2020
Getragen hat mich eigentlich nur die Angst dann mit Ende 20 nichts zu haben. Kein Abschluss, nur Abitur.
Also habe ich gekämpft.
Mein Körper war nicht begeistert. Vor 8 Jahren, mit 27 hatte ich einen Schlaganfall.
— Johannes Rehborn 🏳️🌈 (@JRehborn) October 14, 2020
Ich war komplett linksseitig gelähmt. Die genauen Umstände berichte ich mal wann anders. Habe ich hier aber auch schon mal.
Ich hatte Glück. Die Symptome haben sich zurück gebildet. Trotzdem hats mich natürlich völlig raus gehauen. Ich durfte quasi wieder von vorne anfangen.
— Johannes Rehborn 🏳️🌈 (@JRehborn) October 14, 2020
Ich habe mir zeit gelassen. Zeit, die ich mir nur lassen konnte, weil ich priviligiert war. Dazu komm ich aber gleich.
Am Ende habe ich dann nach 4 Jahren Examensvorbereitung, 3x Rep druchlaufen mein Examen geschrieben. Und erstaunlich gut bestanden.
— Johannes Rehborn 🏳️🌈 (@JRehborn) October 14, 2020
Jetzt bin ich häufiger darauf angesprochen worden, warum ich denn über sowas schreibe. Warum ich in die Öffentlichkeit gebe und mich so bloß stelle.
Ich habe vor einigen Wochen mit einer Arbeitskollegin über meine Depression gesprochen.
— Johannes Rehborn 🏳️🌈 (@JRehborn) October 14, 2020
Meine Personalberaterin auf der Arbeit weiß auch davon. Dazu ihr (vorher schon, jetzt nochmal kompakt).
Warum tu ich das?
— Johannes Rehborn 🏳️🌈 (@JRehborn) October 14, 2020
Ganz einfach: Weil ich es kann. Ich bin weiß, ich bin wohlhabend, ich bin männlich gelesen.
Heißt: Ich gehöre zu einer ziemlich priviligerten Gruppe. Ich werde meinen Job nicht verlieren. Maximal (!) verbaue ich mir Karrierechancen. Und wenn das so ist: So be it.
— Johannes Rehborn 🏳️🌈 (@JRehborn) October 14, 2020
Aber: Wäre ich arm, schwarz, weiblich oder trans weiblich, dann würde die Welt wohl anders aussehen.
Ich hätte mir mein Studium niemals so lange finanzieren können. Ich wäre vielleicht nicht eingestellt worden. Ich hätte nicht die Möglichkeiten, die ich jetzt habe.
— Johannes Rehborn 🏳️🌈 (@JRehborn) October 14, 2020
Ich möchte aber, dass alle die Möglichkeiten haben, die ich habe.
Und genau dafür müssten wir alle stehen. Gegen Rassismus, Sexismus und Transfeindlichkeit.
Und gegen Stigmata.
— Johannes Rehborn 🏳️🌈 (@JRehborn) October 14, 2020
Eine Depression ist NICHTS, was man sich aussucht. Glaubt mir, ich wäre die gerne los. Es ist nichts, was man mit ein wenig aufraffen hinbekommt. Menschen mit Depressionen sind nicht faul. Sie sind krank.
— Johannes Rehborn 🏳️🌈 (@JRehborn) October 14, 2020
Deshalb: Wenn ihr chronische Erkrankungen habt und priviligiert seid: Redet darüber. Seid offen und wenn ihr von anderen was hört: Seid einfühlsam. Niemand sucht es sich aus krank zu sein.
— Johannes Rehborn 🏳️🌈 (@JRehborn) October 14, 2020
So damit wär ich auch erstmal durch. Evtl. ergänze ich das noch. Wenn jemand fragen habt: Fragt mich gerne. Aber bitte akzeptiert es, wenn ich nicht alles beantworten will oder beantworten kann.
— Johannes Rehborn 🏳️🌈 (@JRehborn) October 14, 2020
Weil das gerade noch kam: Natürlich solltet ihr nur über eure Probleme reden, wenn ihr könnt. Geht nicht über eure Grenzen. Achtet auf euch. Aber: Wenn ihr könnt wäre es toll, wenn ihr es macht, weil weniger priviligerte Menschen halt dazu eventuell nicht in der Lage sind.
— Johannes Rehborn 🏳️🌈 (@JRehborn) October 14, 2020