Thread: Ich habe mich häufig gewundert, warum ich als Patient so schnell Termine bekomme

Manuela Jungkind 11.06.2021, 17:11 Uhr

Irgendwie wissen wir doch alle, dass unser Gesundheitssystem nicht fair ist. Es ist längst Routine, dass bei einer Terminanfrage in einer neuen Praxis zuerst nach dem Versicherungsstatus gefragt wird – und erst danach nach den Beschwerden. Klar, auch der Medizinsektor ist wirtschaftlichen Überlegungen unterworfen. Privatversicherte versprechen der Praxis höhere Einnahmen als Kassenpatient:innen, weswegen bisweilen die Diagnostik ein wenig aufwendiger gestaltet wird und größere Mühen betrieben werden, diese lukrativen Patient:innen an die Praxis oder das Krankenhaus zu binden. Doch der Versicherungsstatus scheint nicht der einzige Faktor zu sein, der bezüglich der Qualität der Behandlung eine Rolle spielt. Rassismus, Sexismus und ein Bildungs-Bias, der Menschen höherer Ausbildung oder Berufen mit größerem Sozialprestige mehr Privilegien zugesteht, sind in unserer Gesellschaft tief verankert. Es ist also nicht ganz überraschend, dass auch immer wieder der Vorwurf laut wird, dass Mediziner und Medizinerinnen nicht nur nach sachlichen Kriterien arbeiten, sondern Vorurteilen unterworfen sind, die sich in der Behandlung widerspiegeln. Der Mediziner und Kinderpsychiater Oliver Dierssen hat zu diesem Thema eigene Erfahrungen gemacht und diese auf den Punkt gebracht. Dies ist sein Thread.

Das sagen andere User:innen:

Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Beitrags ist der Thread von Oliver Dierssen nicht mal 24 Stunden online und hat bereits Hunderte Kommentare gesammelt. Das Thema trifft ganz offensichtlich einen Nerv. Vermutlich auch deshalb, weil jede:r zustimmen würde, dass Medizin blind gegenüber Geschlecht, Herkunft oder soziokulturellen Faktoren sein sollte. Krankheit ist grausam und jeder Laie ist der behandelnden Person ausgeliefert. Es besteht eine zum Teil riesige (fachbezogene) Wissenskluft zwischen Patient:in und Mediziner:in und für viele, die sich medizinische Hilfe suchen, ist allein der Vertrauensvorschuss, den sie bei Anamnese und Untersuchung leisten müssen, eine große Herausforderung. Umso trauriger, dass viele User:innen die Erfahrungen des Autors bestätigen können. Wir haben die treffendsten Kommentare zusammengefasst:


Mehrere User:innen wiesen in den Kommentaren darauf hin, dass in ihren Praxen alle Patient:innen gleichbehandelt werden. So löblich dies ist, muss man sich dennoch klarmachen, dass Vorurteile oft unterhalb der Bewusstseinsschwelle wirken. Wir alle sind Menschen und menschlichen Stärken und Schwächen unterworfen. Sich Sympathien und Antipathien bewusst zu machen, kann helfen, soziale Mechanismen zu durchbrechen.

Dieser Thread ist deswegen so wertvoll, weil hier jemand auf sein eigenes Privileg aufmerksam macht, statt es stillschweigend zu genießen oder gar abzustreiten. Falls ihr Lust auf einen anderen Thread habt, in dem es ebenfalls um Vorurteile geht, möchten wir euch diesen ans Herz legen:

Thread: Als ich heute beim Arzt war

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