Thread: Ich bin es leid
Die aktuelle Diskussionskultur in Deutschland gleicht einem Scherbenhaufen und zwar nicht erst seit #allesdichtmachen oder dem Aufkommen der Querdenker-Bewegung. Die meisten Menschen verharren nur noch in ihrer Echoblase und haben vergessen, dass ein echter Austausch nur zustande kommt, wenn Menschen mit verschiedenen Erfahrungen und Perspektiven zusammenkommen. Nun mag der eine oder andere behaupten, dies sei im Internet auch gar nicht in dem Maße möglich, in dem man es bräuchte, aber das ist eigentlich ein Irrtum. Man kann dort nämlich sehr wohl und rege seine Gedanken austauschen, wenn man nur möchte. Entscheidend ist dabei nicht nur die Plattform, auf der diskutiert wird (von den Kommentarspalten auf Twitter und Facebook würden wir dabei eher abraten), sondern auch die eigene Einstellung. Dabei macht vor allem der Ton die Musik, also die Art und Weise, wie die Kritik geäußert wird. Mit persönlichen Beleidigungen und übertriebener Polemik ist am Ende niemandem geholfen. Das bringt zwar Likes und Zuspruch von Gleichgesinnten, aber es blockiert eben auch den so dringend benötigten Dialog. Und, was noch viel wichtiger ist, ob man sein Urteil bereits gefällt hat oder ob man tatsächlich an einem Austausch interessiert ist. Dabei sprechen wir zum Beispiel ganz inflationär von Vorurteilen und stecken Menschen in Schubladen. Das ist per se erstmal nichts Schlechtes, wären gewisse Einordnungen heutzutage nicht für immer bzw. in Stein gemeißelt. Der Twitteruser @Gedankenbalsam hat über Toleranz, Etiketten und Vorurteile diesen treffenden Thread geschrieben.
Ich bin es leid.
Ein Thread.Ich bin es leid, das Wort »Vorurteil« zu hören.
Was damit gemeint ist, sind nicht Vorurteile. Vorurteile lassen sich revidieren. Was es wirklich ist, ist ein Urteil.
Ihr, und Ihr wisst, wer Ihr seid, fällt Euer Urteil jeden Tag. Und revidiert es nie.— Herr Balsam (@Gedankenbalsam) April 16, 2021
Ich bin es leid, dass Ihr glaubt, Euer Urteil über Menschen aufgrund von Alter, Geschlecht, Statur, Sexualität, Glaube, Herkunft, Hautfarbe, Bildung oder Vermögen fällen zu dürfen. Der Wert eines Menschen bemisst sich am Charakter und am Handeln.
Und Ihr versagt in beidem.— Herr Balsam (@Gedankenbalsam) April 16, 2021
Ich bin es leid, dass Ihr so tut, als hieße Toleranz, alles und jeden auf eigene Kosten gutzuheißen.
»Toleranz« kommt vom lateinischen »tolerare« – ertragen. Toleranz heißt, zu ertragen und zu dulden, was von den eigenen Überzeugungen und Eigenschaften abweicht.
Nichts anderes.— Herr Balsam (@Gedankenbalsam) April 16, 2021
Ich bin es leid, mir anzuhören, meine Toleranz ginge auf Kosten anderer. Das tut sie nicht.
Denn ich kann jene niemals tolerieren, deren Handlungen anderen in irgendeiner Form schaden. Das ist mein Kriterium. Kein anderes.
Euch und Euer Verhalten toleriere ich nicht.— Herr Balsam (@Gedankenbalsam) April 16, 2021
Ich bin es leid, wie Ihr durch Euer Urteil andere diskriminiert.
Diskriminieren, von lateinisch »discriminare«, – trennen. Ihr trennt Menschen von Euch und anderen. Weil Ihr sie für Eure Unzufriedenheit verantwortlich macht.
Verantwortlich sind aber solche, die so sind wie Ihr.— Herr Balsam (@Gedankenbalsam) April 16, 2021
Ich bin es leid, wie Ihr zwanghaft alles und jeden etikettiert.
Mann – Frau, schwarz – weiß, homo – hetero, dick – schlank, jung – alt, gläubig – ungläubig, arm – reich, Ihr braucht Etiketten, damit Ihr alle unterscheiden könnt. Denn nur wer ist wie Ihr, ist Euren Augen richtig.— Herr Balsam (@Gedankenbalsam) April 16, 2021
Ich bin es leid, dass Ihr glaubt, nur jene, die aussehen, fühlen, denken, reden und handeln wie Ihr, seien Euch wohlgesinnt.
Das sind Sie nicht. Denn sie sind genau wie Ihr. Und damit niemand anderem wohlgesinnt als sich selbst.
Alle anderen sind ihnen höchstens Mittel zum Zweck.— Herr Balsam (@Gedankenbalsam) April 16, 2021
Ich bin es leid, dass das Wort »Mensch« für Euch auch nur ein Etikett ist, um Euch vom Tier zu unterscheiden.
Ihr seid unfähig, Menschen schadlos Mensch sein zu lassen, ganz gleich, wie sehr sie sich von Euch und Eurer Lebensweise unterscheiden.
Für Euch sind alle anderen falsch.— Herr Balsam (@Gedankenbalsam) April 16, 2021
Ich bin es leid, dass Ihr mit Euren Etiketten die Welt zu einem schlechteren Ort für alle anderen macht. Ihr schürt da Zwietracht, wo es mehr denn je Zusammenhalt braucht.
Und das kann, will und muss ich nicht mehr tolerieren.Ich bin Euch leid.
Und ich bin damit nicht allein.— Herr Balsam (@Gedankenbalsam) April 16, 2021
Und im Übrigen bin ich der Meinung, dass der Faschist Björn Höcke bei jeder sich bietenden Gelegenheit als eben solcher benannt werden muss.#TausendMalGesagt
— Herr Balsam (@Gedankenbalsam) April 21, 2021
Das sagen andere User:
Gerade in der aktuellen Debatte rund um die Corona-Maßnahmen ist es uns selbst auch schon passiert, dass wir oftmals viel zu schnell urteilen und uns so die Chance verbauen, von einem Austausch zu profitieren. Einige User kennen das Problem ebenfalls und haben das unter dem Text bestätigt. Natürlich haben unsere persönlichen Lebensumstände Einfluss darauf. Die Corona-Krise oder das Internet sind dabei aber nicht die Ursache des Problems. Alle Menschen müssten sich viel öfter selbst reflektieren und sich hinterfragen, statt dies immer nur bei anderen zu tun. Wir haben ein paar der Reaktionen auf den Thread für euch zusammengetragen.
Ich erkenne mich wieder. Gerade im Moment bin ich auch schnell mit einem Urteil zur Hand. Und das mag ich nicht, das ist neu.
Danke für den Denkanstoß.— verathevet (@nordseevet) April 16, 2021
Hier wurde einmal geschrieben: (Ich weiß nicht mehr von wem)
Toleranz ist keine Einbahnstraße.
Das trifft es gut.
Und ja, ich hab mich auch verändert.
Ob es mir gefällt, weiß ich nicht.— Die 78. Nell🏥 (@Nell781) April 16, 2021
‚Gewalt entsteht aus dem Glauben, dass andere Menschen unsere Schmerzen verursachen und dafür Strafe verdienen.‘
M.B.Rosenberg
Wir arbeiten viel mit Belohnen und Bestrafen,Schuld und Rechthaben, weniger mit Lösungen,bei denen alle Beteiligten gehört und fair gemeinsam gestalten.— EmmaMH 🔴🦉🦊🔴🔴💖 (@emmiweberwebde1) April 16, 2021
Es ist zwar schon einige Jahre her, aber wenn ich mich recht erinnere kann ich zu diesem Thema das Buch „Achtung Vorurteile“ von Peter Ustinov sehr empfehlen.
— Florian in der Risikogruppe (@weinreisender) April 16, 2021
🏆 Ich bin es auch leid. Habe mich trotzdem in Einigem wiedererkannt. Sollten wir wohl alle.
— Urban Tropical (@Urbical) April 16, 2021