Thread: Ich bin eine von vielen
Die Täter-Opfer-Umkehr ist ein Konzept, bei dem die Rollen von Täter und Opfer vertauscht werden oder eine Person, die tatsächlich das Opfer ist, fälschlicherweise als Täter dargestellt wird. Dieses Konstrukt hat in der öffentlichen Diskussion und Wahrnehmung in einigen Fällen dazu geführt, dass Frauen Vorsicht vor Männern anerzogen wird, während gleichzeitig patriarchale Strukturen es Männern ermöglichen, ungestraft zu handeln und bei sexuellen Übergriffen oft ohne Konsequenzen davonzukommen. Der Fall Rammstein ist da nur ein Beispiel von vielen.
Historisch gesehen wurden Frauen schon immer als diejenigen beschuldigt, die für sexuelle Übergriffe verantwortlich waren, sei es aufgrund von Kleidung, Verhalten oder einfach aufgrund von Vorurteilen und Geschlechtsstereotypen. Diese fehlerhafte Wahrnehmung hat dazu geführt, dass Frauen in vielen Gesellschaften mit der Bürde leben, sich vor potenziellen Übergriffen zu schützen, indem sie Vorsicht walten lassen und sich bestimmte Verhaltensweisen aneignen. Die Verantwortung für sexuelle Übergriffe liegt ausschließlich bei den Tätern, unabhängig von den Handlungen oder Entscheidungen der Opfer. Die Fokussierung auf die Vorsicht der potenziellen Opfer kann zu einer Verschiebung des Problems führen und die eigentliche Verantwortung der Täter in den Hintergrund rücken.
Die Twitteruserin @FrauGausB hat einen sehr wichtigen, aber auch wütenden Thread geschrieben, wo wir als Gesellschaft ansetzen müssen.
Ich bin die, der schon früh eingebläut wurde, dass man nicht mit Fremden mitgeht. Nichts von Fremden annimmt. Sich nichts schenken lässt.
Die als Kind schon darauf achtete, dass der Po bedeckt ist, sich nicht wunderte, dass unter dem Kleid noch eine kurze Hose getragen wird.— Frau G. aus B. (@FrauGausB) June 9, 2023
Meine Mama und meine Oma hatten diesen traurigen Blick, wenn wir darüber sprachen, warum es nötig ist, vorsichtig zu sein.
— Frau G. aus B. (@FrauGausB) June 9, 2023
Ich bin die, die in der Grundschule nicht mehr alleine zur Toilette gehen durfte, weil dort „etwas Böses“ passiert war. Von dem Mann und was er getan hat, habe ich später erfahren. Es hat dafür gesorgt, dass wir Mädchen lange nur zusammen gegangen sind. Auch am Gymnasium noch.
— Frau G. aus B. (@FrauGausB) June 9, 2023
Die Lehrer haben uns belächelt, wollten es nicht zulassen. Aber die Lehrerinnen hatten diesen traurigen Blick und ließen uns zu zweit gehen. Setzten das auch gegenüber den Lehrern durch.
— Frau G. aus B. (@FrauGausB) June 9, 2023
Ich bin die, die vor der Dunkelheit zu Hause war. Die auch im Hellen stets wachsam war. Die in Gruppen unterwegs war oder mit Hund in Begleitung. Die trotzdem Pfiffe kennt. Sprüche kennt.
Ich kenne sie alle.— Frau G. aus B. (@FrauGausB) June 9, 2023
Mein Vater hatte diesen traurigen Blick, wenn wenn wir darüber sprachen, warum ein Mädchen aufpassen muss, sich verteidigen können muss. Mein Vater hatte aber auch diese unbändige Wut in sich. Als er hörte, wie die Nachbarn mit mir sprachen, sorgte er dafür, dass sie aufhörten.
— Frau G. aus B. (@FrauGausB) June 9, 2023
Ich bin die, die im Club immer die Hand über dem Glas hatte. Den Daumen über der Flaschenöffnung. Die kein offenes Getränk annahm. Sich nie ein Glas mit jemandem teilte. Nicht einfach irgendwo hinging. Immer jemanden informierte, wo ich war und mit wem.
Aus notwendiger Vorsicht.— Frau G. aus B. (@FrauGausB) June 9, 2023
Ich bin eine von vielen Frauen, die voller Misstrauen durch die Welt laufen. Für die das normal ist. Die trotz aller Vorsicht in Situationen gekommen ist, in die kein Mädchen, keine Frau, niemand kommen sollte. Ich konnte mich verteidigen.
Viele konnten das nicht.— Frau G. aus B. (@FrauGausB) June 9, 2023
Jetzt bin ich Mutter. Ich bringe meinen Kindern bei, dass man vorsichtig sein muss.
Dass es gute und böse Menschen gibt.
Dass es gute und böse Geheimnisse gibt.
Machen wir uns nichts vor, meinem Mädchen bläue ich das noch härter ein als meinem Jungen.
Weil ich muss.— Frau G. aus B. (@FrauGausB) June 9, 2023
Es kotzt mich an.
Es kotzt mich dermaßen an, dass ich meinen Kindern erklären muss, dass da draußen Menschen rumlaufen, die ihnen Böses wollen. Und ich kann nur hoffen, dass sie nie am eigenen Leib erfahren werden, warum diese Vorsicht berechtigt ist.— Frau G. aus B. (@FrauGausB) June 9, 2023
Ich bin die, die eine unbändige Wut in sich trägt. Diese Wut wird immer größer. Angesichts Tätern, die in Schutz genommen werden und Opfern, die verhöhnt werden.
Ich bin eine von vielen.
Vielleicht sollten wir unsere Wut endlich raus lassen.— Frau G. aus B. (@FrauGausB) June 9, 2023
Das sagen andere User:
Patriarchale Strukturen können dazu beitragen, dass männliche Täter in einigen Fällen Straffreiheit genießen. Die gesellschaftliche Vorstellung von Männlichkeit und Geschlechterrollen hierzulande kann dazu führen, dass sexuelle Übergriffe verharmlost oder gerechtfertigt werden. Dies kann dazu führen, dass Übergriffe nicht ernst genug genommen werden und die Täter nicht angemessen zur Rechenschaft gezogen werden. Es ist entscheidend, dass wir als Gesellschaft weiterhin für Gleichberechtigung und Gerechtigkeit kämpfen. Dies beinhaltet die gemeinschaftliche Herausforderung, Vorurteile, Stereotypen und Geschlechterrollen, die zu einer Täter-Opfer-Umkehr beitragen können, abzulegen.
Es ist wichtig, sexuelle Übergriffe ernst zu nehmen, die Stimmen der Opfer zu hören und sicherzustellen, dass Gerechtigkeit für alle Beteiligten gewährleistet wird.
Junge Mädchen und Frauen dazu zu erziehen, vorsichtig zu sein, bringt rein gar nichts, wenn nicht auch die Jungen und Männer dafür sensibilisiert werden. Deshalb: Educate your Sons!
Was die Leserinnen und Leser dazu zu sagen hatten, das erfahrt ihr jetzt. Wir haben ein paar der treffendsten Reaktionen und Kommentare hier für euch gesammelt:
Du solltest deinen Kindern auch beibringen, dass es vor allem Verwandte und Bekannte sind, die die Täter sind. Die allermeisten Opfer stehen in irgendeiner Beziehung zum Täter. Also man kennt sich.
— La Reina 🪣 (@katawepunkt) June 9, 2023
Was für extra Schutzräume brauchen wir denn? Die MÄDCHENtoilette? Die FRAUENumkleide? Siehe oben. Bullshit. Wir brauchen keine Schutzräume. Wir brauchen eine Gesellschaft, die uns vor Übergriffen schützt, nicht wegsieht, Täter wirklich bestraft.
— Frau G. aus B. (@FrauGausB) June 9, 2023
Genau das ist es. Du machst wirklich ALLES als Frau was als Vorsichtsmaßnahme bekannt ist. TROTZDEM passiert eines Tages irgendwas. Und wenn Du dann noch liest dass Frauen halt vorsichtiger sein müssten… Da steigt die Wut hoch. Und sie kocht bis sie ausbricht 😤
— Banoffee.Mags.Herzhaft. (@BanoffeMHH) June 9, 2023
Ich bin die, die immer stabil auftritt, wie es Frauen empfohlen wird. Die im Dunklen keine Angst hat.
Und die im Urlaub vor dem Garteneingang des Hotels sexuell bedrängt wurde und dann bis zur Rückreise bodenlose Angst hatte, dass er wiederkommt.
Auf einmal ist es so weit…— Lemmyzwo (@IlonaRasche) June 9, 2023
Auch mir wurde das alles eindringlich so vermittelt – und es konnte mich nicht vor dem Übergriff aus dem engsten Umfeld schützen. Geglaubt hat mir niemand. Einzige Möglichkeit ist mMn Kinder egal welchen Geschlechts zu stärken und ein Umdenken zu bewirken, bei allen.
— Christiane Offermann📯 (@Christoffer811) June 9, 2023
Ich bin die, die sich inzwischen gegen all diese Vorsichtsmaßnahmen weigert. Weil die schlimmsten Situationen am hellichten Tag in vermeintlich sicheren Situationen passiert sind. Zum Beispiel mit 12 nach der Schule im Bus voller Menschen, die nichts gesagt haben.
— PoliticalPanda (@PandasPolitics) June 9, 2023
All das. Und es ist so falsch! pic.twitter.com/L8KfciPY7X
— gryffi (@gryffi1) June 10, 2023
Ich bin noch heute so : mein Glas nie unbeaufsichtigt stehen lassen, immer in Kontakt mit vertrauenswürdigen Leuten in der Umgebung (soweit man das beurteilen kann ), meinen Hund z.B. lasse ich nie allein vor dem Supermarkt stehen etc etc …
— Mantzel_G (@MantzelG) June 9, 2023
Meine Mädels laufen im Rock nur mit „Safetypants“ – so gut, so traurig…
— Annette Bastigkeit (@AnniB1971) June 9, 2023
Ich bin eine von denen, denen Schlimmes passiert ist. Und ich wünschte, ich könnte andere davor bewahren.
Es macht mich unendlich traurig, wieviele Menschen sich noch immer schützend vor Täter stellen und Betroffenen angreifen, die sich trauen, sich zu wehren.
— Buchstablerin (@buchstablerin) June 9, 2023
Ich wünschte wir wären weiter.. Als Gesellschaft. Ich wünschte wir hätten seit damals als Alice noch für Frauenrechte einstand, mehr erreicht. Das wir Männer ausgerechnet die weiblichen Wesen, welche wir doch am meisten idealisieren gleichzeitig am beschissensten behandeln.. 😓
— The grumpy Side of Bär (@Twittbear9000) June 9, 2023
Ein Grabscher von hinten, der beim Ausstieg, überraschend meine Brüste angriff. Ein Stoß nach hinten mit dem
Ellbogen und Flucht ins nächste Abteil. Ein paar jungen Männern schilderte ich, was passiert war. Die machten sich auf die Suche nach dem, er war weg.— TGfreeMaedchen🌊☀️🌴 (@tg_freeMaedchen) June 9, 2023
Viele Dank für eure Aufmerksamkeit! Zu diesem Thema hätten wir auch noch das: