Thread: Heutzutage darf man ja nichts mehr sagen

Manuela Jungkind 12.08.2022, 12:34 Uhr

Politiker*innen nutzen das Schlagwort sehr häufig, freilich während sie vor einer Fernsehkamera stehen und ihre Meinung in die Welt hinausposaunen: Cancel Culture! Laut CDU-Chef Friedrich Merz sei diese die „größte Bedrohung für die Meinungsfreiheit“ und richte sich inzwischen gegen „völlig legitime Meinungen“. Gemeint ist der gezielte Ausschluss (von Vertreter*innen) bestimmter Positionen, etwa bei Veranstaltungen. Klingt nicht nett, liegt aber auch in der Natur der Sache: Wieso sollte man auch beispielsweise einen Holocaust-Leugnenden mit an den Tisch holen und dieser Position damit Legitimation verschaffen? Man muss aber gar nicht so weit gehen, auch im kleineren Maßstab fühlen sich Menschen aufgrund ihrer Meinung in scheinbar immer regelmäßigeren Abständen ausgeschlossen. „Das darf man ja nicht mehr sagen!“ liest und hört man immer öfter. Aber kann es in einer Gesellschaft, in der sich praktisch alle unbegrenzt viele Instagram-Accounts anlegen können, in der Corona-Leugnende durch die Straßen ziehen dürfen, jeder YouTube-Videos mit kruden Theorien hochladen oder jede einen öffentlichen Blog führen und sich weltweit mit Menschen gleicher Gesinnung vernetzen kann, überhaupt eine Cancel Culture geben? Twitteruser @DrLutzBoehm ordnet in seinem Thread für uns ein, wie viele dieser Diskussionen geführt werden.

So reagieren andere User*innen:

Darf man das noch sagen? Nun, vom rechtlichen Standpunkt her darf man in Deutschland seeeehr viel sagen. Hier ist man dazu eingeladen, in Länder zu schauen, wo Menschen verhaftet werden, weil sie ein Plakat hochhalten, auf dem die Regierung kritisiert wird. Oder in denen Homosexuelle auf offener Straße verprügelt werden. In denen Medien gleichgeschaltet sind, Facebook deaktiviert ist oder Lynch-Justiz herrscht. Vergisst die Seite, die so laut eine Cancel Culture beschreit, nicht, dass Diskussionen in einer offenen Gesellschaft erfordern, auch die Meinung des anderen zu dulden und sich mit den Konsequenzen der eigenen Auffassung auseinanderzusetzen? Die Twitteruser*innen fanden die Interpretation jedenfalls sehr treffend und haben den Thread keineswegs gecancelt.

Das soeben Gelernte direkt mal anwenden

Wer lauter schreit, hat nicht automatisch recht

Siehe Fernsehdebatten, in denen Mindermeinungen die gleiche Sendezeit bekommen wie der wissenschaftliche Konsens

Irgendwas mit einer boshaften Mutter vermutlich

Wenn euch jetzt irgendwie nach Kopfschütteln ist, dann schaut doch mal in unsere neue Reihe:

Kann man sich nicht ausdenken: Die besten Tweets zum Kopfschütteln

Mehr lesen über:

Über den Autor/die Autorin

Manuela Jungkind

Redaktionsleitung

Alle Artikel