Kinder entwickeln häufiger und schneller Fieber als wir Erwachsene. Schon bei kleinen Infekten erhöht sich ihre Körpertemperatur. Dabei wird leider oft vergessen, dass Fieber im Rahmen von Erkrankungen nichts Schlechtes ist, sondern nur eine Schutzreaktion des Körpers. Denn die Temperaturerhöhung sorgt dafür, dass der Körper seine Abwehrkräfte mobilisiert. Viren und Bakterien können sich bei einer höheren Körpertemperatur nämlich schlechter vermehren als bei normaler. Wenn ein Kind fiebert, geht sein Körper gegen die verschiedensten Krankheitserreger aus eigener Kraft vor und versucht, sich selbst zu helfen. Die Definition von Fieber beginnt ab 38,5° Celsius. Alles darunter (zwischen 36,5° und 37°) ist nur erhöhte Temperatur, die auch sowohl tages- als aktivitätsbedingt sein kann und nicht immer etwas mit einer Krankheit zu tun haben muss. Ab 39,5° Celsius spricht man dann von hohem Fieber. Weil es über die Thematik allerdings noch so viel mehr zu wissen gibt, wollen wir an dieser Stelle einen Experten zu Wort kommen lassen. Der Twitteruser und Facharzt für Pädiatrie Dr. F. Reichert hat darüber diesen informativen und ausführlichen Thread geschrieben.
Fieber bei Kindern – ein Thread.
Was ist Fieber?
Es handelt sich im Rahmen einer Infekt-Abwehr um eine „Sollwertverstellung“, die im Gehirn gesteuert wird: der Körper bekommt „von oben“ den Befehl, ab sofort nicht mehr auf 37°C, sondern auf z.B. 39°C zu laufen. 1/— Dr. F. Reichert (@FReichert667) September 25, 2021
Und der setzt dann alles daran, das auch zu tun (Gefäße weiten sich, Muskeln zittern, Herz wird schneller). Es ist also streng genommen nicht die Infektion die das Fieber verursacht, sondern der Körper „macht Fieber“, um eine Infektion zu bekämpfen. 2/
— Dr. F. Reichert (@FReichert667) September 25, 2021
Ist Fieber bei Kindern gefährlich?
In den allermeisten Fällen: nein. Weder platzt das Herz noch schmilzt das Hirn bei bestimmten Temperaturen. Kinder vertragen Fieber sehr viel besser als Erwachsene (sonst wäre der erste Winter in einer KiTa auch wirklich eine harte Prüfung). 3/— Dr. F. Reichert (@FReichert667) September 25, 2021
Ausnahme 1: Kinder in den ersten 3 Lebensmonaten sollten bei Fieber immer unverzüglich ärztlich untersucht werden! Bei Kindern <8 Wochen wird IMMER eine Krankenhauseinweisung erfolgen, bei 9-12 Wochen ebenfalls sehr oft. 4/
— Dr. F. Reichert (@FReichert667) September 25, 2021
Bis zum Beweis des Gegenteils hat ein Kind in den ersten 8 Lebenswochen mit Fieber eine lebensbedrohliche bakterielle Infektion und muss sofort in die Kinderklinik für weitere Diagnostik und ggf. Therapie. Selbst 38,1° reichen da schon (die ganz kleinen können wegen 5/
— Dr. F. Reichert (@FReichert667) September 25, 2021
geringer Muskelmasse oft gar keine hohen Temperaturen entwickeln).
Ausnahme 2: Kinder die Chemotherapie bekommen oder einen Immundefekt haben. Die Eltern solcher Kinder sollten aber gut aufgeklärt sein, wie sie sich dann zu verhalten haben – um diese geht es hier nicht.
6/— Dr. F. Reichert (@FReichert667) September 25, 2021
Die wichtige Frage ist nicht „wie hoch ist die Temperatur“, sondern „was verursacht das Fieber“ und (ich kann es nicht oft genug wiederholen) „wie geht’s dem Kind?“.
7/— Dr. F. Reichert (@FReichert667) September 25, 2021
Wann muss ein Kind mit Fieber zum Arzt? Kommt drauf an, wie es ihm geht. In den allermeisten Fällen sind es virale Infekte. Wenn die Geschwister und die halbe KiTa eine Erkältung haben, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass das Kleinkind, dass seit dem Morgen fiebert, 8/
— Dr. F. Reichert (@FReichert667) September 25, 2021
ebenfalls diese Erkältung hat. Bei Symptomen wie Schnupfen und Husten ist die Diagnose klarer. Solange es einem Kind „ganz ok“ geht und es noch ausreichende Mengen trinkt (z.B. weiterhin regelmäßige nasse Windeln hat), ist der Gang zum Kinderarzt oft nicht nötig. 9/
— Dr. F. Reichert (@FReichert667) September 25, 2021
Wenn das Kind keine Symptome außer Fieber hat, ist das ebenfalls oft nur ein viraler Infekt – aber eine Vorstellung beim Arzt bietet sich nach 2-3 Tagen an, da es z.B. auch ein Harnwegsinfekt sein kann. 10/
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Wenn es dem Kind schlecht geht, großzügig zum Arzt. Wenn ihr euch Sorgen macht: zum Arzt. Gerade beim ersten Kind kann es für Eltern noch schwierig sein, einzuschätzen was als „es geht ihm gut“ oder „es geht im schlecht“ zu werten ist – aber mit der Zeit 11/
— Dr. F. Reichert (@FReichert667) September 25, 2021
lernen die Eltern ihr Kind auch mit Infekten gut kennen. Wenn ihr sagt „dem geht es ganz anders als sonst, wenn er einen Infekt habt“ – zum Arzt.
12/— Dr. F. Reichert (@FReichert667) September 25, 2021
Bei diesen Warnzeichen sollte sofort eine Vorstellung beim Arzt bzw. im Krankenhaus erfolgen, da sie ein Hinweis auf eine schwere behandlungsbedürftige Infektion sein können (wobei es den Kindern bei diesen Erkrankungen vom Allgemeinzustand meist so schlecht geht 13/
— Dr. F. Reichert (@FReichert667) September 25, 2021
, dass eine Vorstellung ohnehin sinnvoll ist):
Nackensteifigkeit: nach vorne Beugen des Nackens führt zu Schmerzen im Nacken / Kopf, bzw. es geht überhaupt nicht – kann ein Hinweis auf eine Hirnhautentzündung sein. 14/— Dr. F. Reichert (@FReichert667) September 25, 2021
Ein Test darauf ist auch wenn das Kind auf dem Rücken liegt, das Bein anwinkelt und mit der Nase sein Knie berühren soll („Knie-Kuss“). Mit Hirnhautentzündung ist das oft nicht möglich. 15/
— Dr. F. Reichert (@FReichert667) September 25, 2021
Kopfschmerzen beim Kind <8-9 Jahren – das ist ein sehr ungewöhnliches Symptom bei Kindern vor der Pubertät und sollte abgeklärt werden. Bei Teenagern werden Kopfschmerzen zu einem häufigeren Symptom bei Infekten. 16/
— Dr. F. Reichert (@FReichert667) September 25, 2021
Verändertes Bewusstsein / über das bei Fieber „Normale“ hinausgehende Schlappheit / Müdigkeit oder gar Eintrüben: sofort zum Arzt / Krankenhaus.
Grau-blasse Verfärbung der Haut, „marmorierte“ Haut: ebenfalls, kann ein Hinweis auf eine schwere bakterielle Infektion sein.
17/— Dr. F. Reichert (@FReichert667) September 25, 2021
Einblutungen / bläulich-livide Hautverfärbungen / Petechien (flohstichartige Hauteinblutungen die man nicht wegdrücken kann) / marmorierte Haut: sofort ins KH. 18/
— Dr. F. Reichert (@FReichert667) September 25, 2021
Gibt es eine gefährliche Höchstgrenze?
Nicht wirklich – selbst Temperaturen über 40° sind nicht gefährlicher als 38,5°C. Wenn das Fieber über 41Grad steigt, geht es dem Kind ohnehin meist so schlecht, dass es zum Kinderarzt gebracht wird.
19/— Dr. F. Reichert (@FReichert667) September 25, 2021
Was macht der Arzt, wenn ein Kind mit Fieber kommt?
Er erhebt die Anamnese (die der wichtigste Baustein beim Finden der Diagnose ist), sucht nach der Fieberursache und schaut nach Warnzeichen. In den allermeisten Fällen ist keine weitere Untersuchung nötig, 20/
— Dr. F. Reichert (@FReichert667) September 25, 2021
Manchmal wird der Urin untersucht. Blutentnahmen braucht man nicht oft, können aber ebenfalls manchmal sinnvoll sein. 21/
— Dr. F. Reichert (@FReichert667) September 25, 2021
Wie lange darf ein Kind fiebern?
Die meisten Infekte dauern 2-4 Tage, zuweilen auch eine Woche. Spätestens dann macht aber eine ärztliche Untersuchung Sinn. 22/
— Dr. F. Reichert (@FReichert667) September 25, 2021
Muss das Fieber gesenkt werden?
Jein. Es geht nicht um die gemessene Zahl, sondern um die Frage „wie geht’s dem Kind“? Das Therapieziel ist nicht „Temperatur senken“, sondern „Unwohlsein bekämpfen“. Also: wenn das Kind mit 39,5° noch spielt und trinkt und fröhlich wirkt, 23/
— Dr. F. Reichert (@FReichert667) September 25, 2021
muss man das Fieber nicht senken.
Wenn es bei 38,5° schon total schlapp ist und jammert, kann man ein Medikament gegen. Da sind Kinder sehr individuell, mir haben schon Kinder mit 40,3°C lachend das Untersuchungszimmer auseinandergenommen. 24/— Dr. F. Reichert (@FReichert667) September 25, 2021
Möglichkeiten zur Fiebersenkung: Ibuprofen 10mg/kg, bis zu 3x täglich. Wirkt ziemlich gut, den Saft finden die meisten Kinder lecker (probiert den mal – ich find‘s fürchterlich). Oder Paracetamol 15mg/kg bis 4x täglich. Ob Saft oder Zäpfchen ist übrigens egal – was für 25/
— Dr. F. Reichert (@FReichert667) September 25, 2021
weniger „invasiv“ ist (einige kämpfen gegen den Saft und haben mit Zäpfchen kein Problem, bei anderen ist es umgekehrt). 26/
— Dr. F. Reichert (@FReichert667) September 25, 2021
Ist es ein Problem die Medikamente mehrere Tage lang zu geben? Nein. Auch über mehrere Tage sind beide Medikamente gut verträglich, wichtig ist es auf die tägliche Höchstmenge zu achten und diese nicht zu überschreiten! 27/
— Dr. F. Reichert (@FReichert667) September 25, 2021
Es wird eher nicht empfohlen die Medikamente „abzuwechseln“ (also alle 4h das jeweils andere zu verabreichen), weil es auf diese Art leicht zu Überdosierungen kommt. Falls das Kind so leidet, dass man das machen müsste: 28/
— Dr. F. Reichert (@FReichert667) September 25, 2021
aufschreiben wann ihr was gegeben habt! Wenn man beide Medikamente benötigt, ist es sicherer beides gleichzeitig zu geben und dann einen Abstand von 8 Stunden einzuhalten. 29/
— Dr. F. Reichert (@FReichert667) September 25, 2021
Was ist mit Wadenwickeln? Physikalische Möglichkeiten, um die Temperatur zu senken sind eigentlich nicht sinnvoll – sie haben keinen Einfluss auf die Sollwertverstellung, d.h. der Körper wird weiterhin versuchen die höhere Temperatur zu erreichen 30/
— Dr. F. Reichert (@FReichert667) September 25, 2021
– das belastet den Kreislauf zusätzlich und ist anstrengend. Somit können solche Methoden theoretisch zu stärkerer körperlicher Belastung führen. Aber da kann man pragmatisch sein: wenn man weiß, dass es dem Kind fürs Wohlbefinden hilft, dann spricht auch nicht unbedingt 31/
— Dr. F. Reichert (@FReichert667) September 25, 2021
etwas dagegen – wie gesagt, es geht darum „wie geht’s dem Kind“. Und wenn ihm ein nasser Waschlappen auf dem Kopf gut tut, dann soll es den auch haben. 32/
— Dr. F. Reichert (@FReichert667) September 25, 2021
Was ist mit homöopathischen Mitteln? Lasst es sein, kein Nutzen, Geldmacherei bis hin zur Scharlatanerie. Wichtig: Homöopathie hat NICHTS mit Naturheilkunde zu tun.
Und hier noch der Vollständigkeit halber die häufigsten Fieber-Mythen: 33/— Dr. F. Reichert (@FReichert667) September 25, 2021
„Fieber senken ist schlecht, da das Fieber ja zur Infektabwehr da ist“
Ein logischer und nachvollziehbarer Gedanke. Aber wie oben erwähnt, man soll nicht das Fieber behandeln, sondern das Unwohlsein. Es keine Evidenz, dass Kinder, bei denen das Fieber gesenkt wird 34/— Dr. F. Reichert (@FReichert667) September 25, 2021
, weniger schnell gesund werden. Aber wie gesagt, wenn’s dem Kind mit 39°C ganz gut geht, muss man nicht senken. 35/
— Dr. F. Reichert (@FReichert667) September 25, 2021
„Das Fieber geht nach dem Fiebersaft nicht runter, also ist das Kind schwerer krank“
Nein – das Ansprechen auf Fiebermedikamente korreliert nicht mit der Krankheitsschwere.
36/— Dr. F. Reichert (@FReichert667) September 25, 2021
„Je höher das Fieber je kränker das Kind“
Nein. Die Höhe der Temperatur korreliert nicht mit der Krankheitsschwere.
37/— Dr. F. Reichert (@FReichert667) September 25, 2021
„Schüttelfrost heißt das Kind ist schwer krank“
Ebenfalls nein, Schüttelfrost ist einfach eine Möglichkeit des Körpers auf die von oben diktierte Temperatur zu kommen.
38/— Dr. F. Reichert (@FReichert667) September 25, 2021
Wichtig: solche Threads ersetzen natürlich NICHT die Gespräche und Vorsorgeuntersuchungen mit eurer Kinderärztin / Kinderarzt.
Wenn ihr besorgt seid, geht zum Arzt, bzw. zum Notdienst!Danke fürs Lesen 🙂
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— Dr. F. Reichert (@FReichert667) September 25, 2021
Das sagen andere User:
Der Text dürfte so ziemlich alle gängigen Fragen zum Thema Fieber beantwortet haben. Für alles andere ist euer Kinderarzt zuständig. Natürlich haben wir wie immer noch ein paar Kommentare für euch zusammengetragen.
Vielen lieben Dank für den ausführlichen Thread! Speziell auch danke, dass du auf die Problematik von Wadenwickeln ohne medikamentöses Regulieren des Sollwerts eingehst, das hört und liest man von Kinderärzten viel zu wenig!
— Arbeitsblatt-Jule (loves her children) 🇩🇪❤️🇺🇲 (@JuliaC_dehemm) September 25, 2021
Super Thread. Geschrieben liegend, neben Sohn 5J, der heute bei knapp 40°C im Keller Schlagzeug spielen wollte.
— LenFro (@HDFSpringerP) September 25, 2021
Vielen Dank für diesen Thread! Ich würde mir noch einen kleinen Nachtrag zum Fieberkrampf wünschen, wenn das möglich ist.
— Notfall-Fango macht jetzt Kinderkram! (@lottefrosch) September 25, 2021
Wichtiger Thread zum Thema Fieber. Danke dafür! Fieber ist wichtig und eben nicht die Krankheit. Selbstredend dient der Thread vermutlich nicht als Ausrede, das Kind vor der Kita schon mit Fieberzäpfchen vollzupumpen. 😌
— Phteven (@HerrPhteven) September 25, 2021
Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit! Wir haben passend dazu noch das hier für euch verlinkt: