Thread: Ein Einsatz, an den wir noch lange denken werden
Arzt– bzw. Notarzt-Threads haben wir schon öfter gepostet. Im August hatten wir euch einen Thread von @RMamarvar vorgestellt, der sich uns ins Gedächtnis gebrannt hat.
Vor ein paar Tagen berichtete er nun über einen weiteren Einsatz, der uns ebenfalls keine Ruhe gelassen hat. Deswegen haben wir ihn hier in diesem Beitrag verewigt.
Thread:
Es gibt Einsätze als #Notarzt, bei denen man dem Patienten nicht mehr helfen kann. #Trauer und Enttäuschung betreffen zwar in erster Linie, aber nicht ausschließlich die Angehörigen. Das ist umso mehr der Fall, wenn es um den #Tod eines jungen Menschen geht. 1/x— Emergency doc (@RMamarvar) November 13, 2019
Es ist ein eisiger und verschneiter Dezembermorgen. Wir haben gerade über 90 Minuten vergeblich um das Leben einer jungen Frau gekämpft. Anfang zwanzig war sie, gerade frisch verheiratet, nach dem morgendlichen Aufstehen einfach umgekippt. 2/x
— Emergency doc (@RMamarvar) November 13, 2019
Später wird herauskommen, daß sie seit Monaten einen grippalen Infekt verschleppt hat, der zu einer schweren Herzmuskelentzündung führte. Jetzt weiß das aber noch niemand, für alle kommt ihr Tod plötzlich, unvorhersehbar. Sie war doch völlig gesund… 3/x
— Emergency doc (@RMamarvar) November 13, 2019
Ich gehe nach draußen und spreche ein paar aufmunternde Worte zu den Notfallsanitätern. Dampfend und verschwitzt stehen sie am RTW und rauchen. Man sieht ihnen an, daß ihnen der Einsatz in den Knochen steckt. Der Vater der Verstorbenen steht bei ihnen und raucht auch. 4/x
— Emergency doc (@RMamarvar) November 13, 2019
Sein blaßes Gesicht bildet einen Kontrast zu den hochroten Gesichtern der Sanitäter. Schon merkwürdig, was für unsinnige Details einem in solchen Situationen auffallen. Er versucht aufmunternd zu lächeln. Er, der gerade sein Kind verloren hat, versucht uns Trost zu spenden. 5/x
— Emergency doc (@RMamarvar) November 13, 2019
Plötzlich wird es hektisch. Der Ehemann kommt von der Arbeit. Er hat sich unmittelbar nach dem Notruf auf den Weg gemacht, kommt jetzt erst an und weiß noch nichts. Unser untätiger Anblick lässt ihn die Schreckensnachricht aber schon ahnen. 6/x
— Emergency doc (@RMamarvar) November 13, 2019
Verzweiflung mischt sich in seinem Gesicht mit Unglauben, Wut, Trauer und Schock. Sie haben sich heute morgen gestritten, bevor er ging, wegen Nichtigkeiten, das kann er sich nicht vergeben. Er versucht den Ablauf zu rekonstruieren, im Versuch, das Unfassbare zu verstehen. 7/x
— Emergency doc (@RMamarvar) November 13, 2019
Wieso war sie nicht auf der Arbeit? Ach, sie ist nicht gekommen, da haben Kollegen angerufen? Wieso? Was? Wo ist es passiert? Wer war wo? Wie wurde die Tür geöffnet? Gut das Mama den Schlüssel hat! Wo ist sie? Kann ich zu ihr? Was soll ich nur machen? Passiert das wirklich? 8/x
— Emergency doc (@RMamarvar) November 13, 2019
Ich sehe die Verzweiflung und denke an meine Frau. Wie würde es mir gehen? Ich kann seine Trauer wohl kaum ermessen. Während ich mit den Eltern rede, ihren Schmerz und ihre Trauer aushalte, kommt der Notfallseelsorger. Man kennt sich, auch ein Feuerwehrmann. Ein leiser Gruß. 9/x
— Emergency doc (@RMamarvar) November 13, 2019
Ich erkläre die Situation, und er geht zu den Angehörigen. Während wir abfahren, kommt die Polizei an. Auf der Rückfahrt zur Wache herrscht eine gedämpfte Stimmung. Wir reden leise, gehen den Einsatz noch einmal durch. Aber es gab keinen Fehler. Manche sterben eben trotzdem. 10/x
— Emergency doc (@RMamarvar) November 13, 2019
Wir fangen an zu erzählen, von alten Einsätzen, Tote, Verletzte, Lustiges, Trauriges… Nehmen den Einsatz als Aufhänger, uns Aufgestautes von der Seele zu reden. Als wir an der Wache sind, geht es fast wieder gut. „An den werden wir noch lange denken“ sage ich. Ich habe recht.
— Emergency doc (@RMamarvar) November 13, 2019