Thread: Die überfällige Erhöhung des Arbeitslosengeldes
Es gibt in Deutschland in über 3 Millionen Bedarfsgemeinschaften etwa 3,9 Millionen Menschen, die Hartz IV beziehen. Wenn man diesen für die kommenden 6 Monate 100 Euro (pro Monat) mehr zahlen würde, wäre das etwas mehr als die Hälfte dessen, was der Kinderbonus im Corona-Konjunkturpaket kostet. Leider tut sich an dieser Front so gar nichts. Für diese Familien ist der Kinderbonus nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Es wird Zeit, dass wir die Sozialleistungen endlich anpassen, nicht nur wegen Corona. In Österreich sieht das Ganze auch nicht viel besser aus, auch wenn das System anders aufgebaut ist. Die Probleme sind im Kern die gleichen wie hierzulande. Barbara Blaha hat darüber diesen ergreifenden Thread geschrieben.
Die Debatte um die überfällige Erhöhung des Arbeitslosengelds geht mir nahe. Weil sie für mich nicht akademisch ist, sondern das berührt, wo ich herkomme. Ein Thread. (1/8)
— Barbara Blaha (@barbarablaha) June 15, 2020
„Was wünscht du dir zum Geburtstag“, fragt mich meine Mutter. Ich sehe in ihr müdes Gesicht. Seit Monaten ist es schwierig: Keiner spricht darüber, aber wir Kinder spüren es. Der Vater arbeitslos, meine Mutter versucht mit Gastro-Jobs in der Nacht Kohle heranzuschaffen. (2/8)
— Barbara Blaha (@barbarablaha) June 15, 2020
Ich weiß genau, was ich will: Inline-Skates. Die hatten alle, flitzen im Park damit herum. Was ich auch weiß: Das können wir uns nicht leisten. Ich schlucke. „Ein Buch, Mama. Ein Buch wäre toll.“ Sie nickte. „Sag mir doch welches“, fragt sie müde. (3/8)
— Barbara Blaha (@barbarablaha) June 15, 2020
Ich überlege nicht lang. „So eins wie das hier.“ Ich halte ein Buch hoch. Fünf Freunde aus der Bibliothek ausgeliehen. Sie nickt, in Gedanken wohl schon bei der nächsten Nachtschicht. Ein paar Tage später laufe ich nach Hause. (4/8)
— Barbara Blaha (@barbarablaha) June 15, 2020
Ich weiß, daheim warten keine Inline-Skates auf mich. Unmöglich. Den ganzen Heimweg flüstere ich vor mich hin: Es gibt nur ein Buch, Barbara. Nur ein Buch. Aber ich hoffte und hoffte. Daheim ein Buch: Fünf Freunde. Der Band, den ich bereits gelesen hatte. (5/8)
— Barbara Blaha (@barbarablaha) June 15, 2020
Ich zwinge mich zu einem strahlenden Lächeln und falle ihr um den Hals. In meinem Zimmer weine ich in meinen Kopfpolster. Aus Enttäuschung über das rundherum falsche Geschenk – und weil meine Mutter mir angesehen hat, dass meine Freude nur vorgespielt war. (6/8)
— Barbara Blaha (@barbarablaha) June 15, 2020
Das Letzte, was ich wollte, war ihr Kummer zu bereiten. Sie hatte schon mehr als genug davon. Ich bin 11 Jahre alt. Heute leben 300.000 Kinder in Familien, die armutsgefährdet sind. Corona hat knapp 200.000 Menschen arbeitslos gemacht, 400.000 hatten schon davor keinen Job. (7/8)
— Barbara Blaha (@barbarablaha) June 15, 2020
Offene Stellen gibt es wenig. Diese Arbeitslosen haben Familie, viele davon Kinder. Mit knapp der Hälfte des bisherigen Einkommens muss nun die Miete bezahlt, Essen gekauft, Schulsachen besorgt werden. Oder ein Geburtstagsgeschenk. (8/8)
— Barbara Blaha (@barbarablaha) June 15, 2020
Das sagen andere User:
💔 Ich kann das gut nachvollziehen, bis hin zu den Bibliotheksbüchern.
— Natascha Strobl (@Natascha_Strobl) June 15, 2020
Das ist nicht nur sehr bewegend erzählt, es trifft vor allem die Situation zu vieler Menschen, Familien, Kinder genau auf den Punkt.
— Christian Wimmer (@wimmchri) June 15, 2020
Es gibt in Deutschland 3,857 Millionen Menschen, die Hartz IV beziehen, in etwas über 3 Millionen Bedarfsgemeinschaften.
Wenn man diesen für die kommenden 6 Monate #100EuroMehrSofort zahlte, würde wären das 2,3 Mrd. Also etwas mehr als die Hälfte dessen, was #Kinderbonus kostet!— Johanna Sprondel (@jsprondel) June 4, 2020