Thread: Die Frage nach dem roten Knopf
Kaum klingt die Pandemie ab, da versetzt der russische Angriffskrieg auf die Ukraine viele Menschen in Angst und Sorge. Die damit verbundene Drohgebärde des Kremlchefs Wladimir Putin, im Ernstfall auch atomare Waffen einzusetzen, bereitet dabei zusätzliche Bauchschmerzen. Sicher, diese Drohung war an die NATO-Partner adressiert, um sie davon abzuhalten, sich in den Ukrainekrieg einzumischen. Jene hatten aber schon zuvor signalisiert, dass sie gar nicht eingreifen würden. Doch ob Bündnisfall oder nicht, Kriege sind eine hochgradig dynamische Angelegenheit. Und wer in Geschichte ein bisschen aufgepasst hat, der weiß, dass sich kriegerische Konflikte in Grenzgebieten schneller ausbreiten können als ein Buschfeuer. Eine verirrte Rakete, ein Pilot, der vom Kurs abgekommen ist, die Liste der mögliche Gefahren und Fehler ist lang und sind zum Teil initiierte Provokationen. Die Sorge vor einer Eskalation ist also nicht von der Hand zu weisen. Aber droht dann gleich ein atomarer Weltkrieg? Oder überspitzt gefragt: Kann Wladimir Putin einfach so einen Knopf drücken und uns alle ins Verderben stürzen, wenn ihm danach ist?
Diese Frage hat in den letzten Tagen wohl sehr viele Menschen beschäftigt. Lars Winkelsdorf ist freier Journalist u.a. für ARD Report München, ZDF Frontal21. Außerdem ist er selbständiger Fachdozent für Waffensachkunde und vertraut mit der russischen Befehlskette. Über die Voraussetzungen und Hürden, die genommen werden müssen, um Atomwaffen zu starten, hat er diesen wichtigen Thread geschrieben.
Inzwischen fragen viele, ob Putin durchdrehen und den „roten Knopf“ drücken könnte.
Glücklicherweise kann er das nicht ganz so einfach.
Im Folgenden zeige ich, wie die Befehlskette in Russland für einen solchen atomaren Schlag aussieht: 1/2
— Lars Winkelsdorf (@winkelsdorf) February 28, 2022
Die Kommandogewalt über Kernwaffen ist in Russland nicht alleine bei Putin, sie verteilt sich auf mehrere Positionen.
Putin hat einen Atomkoffer, den „Cheget“, quasi das Gegenstück zum „Football“ des amerikanischen Präsidenten.
Die Funktion ist ungefähr gleich: 2/x
— Lars Winkelsdorf (@winkelsdorf) February 28, 2022
Der Koffer ist im Grunde ein grosses Telefon mit zahlreichen Büchern und Code-Karten.
Darüber wird der Einsatzbefehl für Kernwaffen erteilt und mit dem speziell für solche Fälle vorgesehenen Kommunikationssystem „Kavkaz“ übermittelt. 3/x
— Lars Winkelsdorf (@winkelsdorf) February 28, 2022
Von dort landen dieser codierte Befehl dann beim russischen Verteidigungsminister.
Der hat den gleichen Koffer und die zweite Hälfte des Codes, die würde er dann eingeben und über „Kavkaz“ dann wieder senden an den Generalstab. 4/x
— Lars Winkelsdorf (@winkelsdorf) February 28, 2022
Der Generalstab hat einen eigenen Code, der dann im Prinzip erst die Freigabe des vollständig erhaltenen Angriffscodes ermöglicht
Erst mit diesen Codes kann dann die Identifizierung eines echten Angriffsbefehls vom Generalstab an die Kernwaffeneinheiten gegeben werden. 5/x
— Lars Winkelsdorf (@winkelsdorf) February 28, 2022
Der Vorgang dauert zwischen 10 und 20 Minuten insgesamt.
Ohne diese vollständigen Codes kann dann allerdings eine Kernwaffe nicht „scharfgeschaltet“ werden, diese Codes sind also nicht nur für den Raketenstart notwendig: 6/x
— Lars Winkelsdorf (@winkelsdorf) February 28, 2022
Moderne Kernwaffen sind in aller Regel gegen Bekloppte und gegen Soldaten gesichert, in Russland teilweise sogar mit Sprengfallen.
Erst mit dem richtigen Code würde eine solche Waffe also überhaupt funktionsfähig werden.
Ohne den hat man einen radioaktiven Briefbeschwerer. 7/x
— Lars Winkelsdorf (@winkelsdorf) February 28, 2022
Um das vereinfacht zu erklären:
Das Problem bei einer Kernwaffe ist NICHT das Spaltmaterial. Klar, schwierig zu besorgen, aber selbst, wenn man das hat, hat man ein technisches Problem:
Die absolut synchrone Zündung der Sprengstofflinsen. 8/x
— Lars Winkelsdorf (@winkelsdorf) March 1, 2022
Wenn die nicht extrem genau gezündet werden, produziert man einen „fizzle“ und keine Explosion, teilweise würde man auch nur radioaktive Masse vor Ort verteilen.
Die Zündung ist über eine Art Computer exakt abgestimmt und erst mit dem Code überhaupt möglich. 9/x
— Lars Winkelsdorf (@winkelsdorf) March 1, 2022
Man könnte so einen Sprengkopf aus einem Flugzeug werden, mit dem Hammer draufhauen, Feuer darunter machen oder sonstwas – es gäbe keine Atomexplosion.
Ohne seine „chain of command“ kann also Putin keinen Atomkrieg einfach aus Wut auslösen. 10/10
— Lars Winkelsdorf (@winkelsdorf) March 1, 2022
Das sagen andere User:
Wir wissen nicht, wie es euch geht, aber uns hat dieser Text ein bisschen die Angst genommen. Vielen Lesern dieses Threads scheint es da ähnlich zu gehen. Ein paar der treffendsten Kommentare, Reaktionen und Fragen haben wir hier für euch zusammengefasst.
Das habe ich die letzten Tage auch immer gedacht. Eigentlich hoffe ich gerade grundsätzlich, dass seine Landsleute zeitnah kurzen Prozess mit ihm machen. Damit es gar nicht erst soweit kommt bzw. spätestens, sollte die Kette starten.
— NoName (@KeinAfDWaehler) March 1, 2022
Viele von den Dingern brauchen Tritium und die Halbwertzeit von dem Zeug ist jetzt nicht unbedingt ideal für eine lange Lagerung
— Lars Winkelsdorf (@winkelsdorf) March 1, 2022
Danke für diese dezidierte Darstellung – sie beruhigt, wenn auch nur ein bisschen
— Sera Tandien (@SeraTandien) March 1, 2022
Wer den Befehl verweigert wird exekutiert. Wer ihn aber ausführt wird im Gegenschlag nuklear verdampft, zusammen mit der eigenen Familie und alle Menschen die man je geliebt hat. Gibt sehr viele die sich für ersteres entscheiden würden.
— Tobi | BLM (@trunnerrs) March 1, 2022
auch die kleinen brauchen eine solche Freigabe, wobei das manchmal zur Vereinfachung gebündelt wird
In US-Vaults für die B61 z.B. sind die alle einzeln freizuschalten
— Lars Winkelsdorf (@winkelsdorf) March 1, 2022
Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit! Passend zum Thema haben wir noch das: