Thread: Das Wichtigste im Leben war Schaffen
Der Satz „Schaffe, schaffe, Häusle baue“ ist ein bekanntes schwäbisches Sprichwort, das oft verwendet wird, um den Arbeitsethos und die Arbeitsethik im Kapitalismus zu beschreiben. Es impliziert, dass jeder unabhängig von seiner sozialen Herkunft und Abstammung Erfolg und Wohlstand erlangen kann, solange er nur hart genug arbeitet. Dieser Glaube an den sozialen Aufstieg durch harte Arbeit ist jedoch eine der fundamentalsten Lebenslügen des Kapitalismus, die in der heutigen Zeit immer offensichtlicher wird. Ja, wir sprechen von der guten alten „Leistungsgesellschaft“.
Zwar gibt es nach wie vor Menschen, die durch harte Arbeit finanziellen Erfolg erlangen, aber die Realität sieht heutzutage anders aus als noch zu Zeiten der Baby-Boomer. Die Reallöhne stagnieren bzw. sinken sogar in vielen Branchen, während die Kosten für lebensnotwendige Dinge wie Wohnraum, Gesundheitsversorgung, Mobilität und Bildung kontinuierlich steigen. Die Schere zwischen Arm und Reich ist zum San-Andreas-Graben geworden. Hinzu kommen eine Vielzahl negativer Effekte, die mit dem Arbeitsdruck der Wohlstandserzählung einhergehen. Unbezahlte Überstunden, Burnouts, Depressionen, Alkoholmissbrauch oder zerbrechende Beziehungen und Familien. Strukturelle Hindernisse wie Rassismus, Diskriminierung und Stigmatisierung von Armutsbetroffenen finden in diesem Wohlstandsmärchen seltsamerweise keine Erwähnung, obwohl sie offenkundig existieren und den sozialen Aufstieg für viele Menschen unmöglich machen. Man könnte fast meinen, die Aufrechterhaltung von Ungleichheit und sozialer Ungerechtigkeit ist gewollt.
Die Twitteruserin @waschhaus_weide spricht aus, was immer mehr Menschen längst begriffen haben und warum man für die nachfolgenden Generationen im Angesicht katastrophaler Zukunftsaussichten Verständnis haben muss.
Generation Z
Meine Erziehung wurde geleistet von Eltern und Großeltern der Kriegs- und Nachkriegsgeneration.
Das wichtigste im Leben war Schaffen, Häusle bauen und ein großes Auto fahren.
Mindestens 1x im Jahr in Urlaub. Möglichst mit dem Flugzeug.
Der Vorgarten war angepasst— Waschhaus (@waschhaus_weide) June 15, 2023
bepflanzt, der Garten hinten langweilig gestaltet, was denkt sonst der Nachbar!
Es wurde früh aufgestanden, nach dem Abendfilm zu Bett gegangen.
Die Rolle der Frau war klar. Haushalt, Kindererziehung, und wenn die Kohle nicht reicht etwas „Zuverdienst“ erwirtschaften. Wir Kinder— Waschhaus (@waschhaus_weide) June 15, 2023
sollten gute Noten haben. Nicht so viel stören, nicht frech sein. Sonst setzte es Ohrfeigen und noch ganz andere drakonische Strafen für die heute das Jugendamt eingeschaltet werden würde.
Auch wir haben noch gelernt, dass der Chef immer Recht hat, kostenlose Überstunden zum gute— Waschhaus (@waschhaus_weide) June 15, 2023
Ton gehören, man sich da nicht beklagt, und lassen uns bis heute noch mit allerlei Unrecht erpressen, nur um unseren kleinen „Wohlstand“ nicht zu verlieren. Es gibt da massig dumme Leitsätze mit denen wir aufgewachsen sind, intus haben wir aber alle, dass „der Arbeitslose“ immer
— Waschhaus (@waschhaus_weide) June 15, 2023
selbst Schuld ist und irgendwie auch faules Pack.
Unsere Kinder aber konnten sehen, wie wenig uns die viele Arbeit, die viele Angst um Wohlstandsverlust, das sinnlose Konsumieren von unendlich ZEUG eingebracht haben: NICHTS!
Wir zittern vor der Altersarmut, das medizinische— Waschhaus (@waschhaus_weide) June 15, 2023
System frisst sich auf, die Menschlichkeit ist kein Wert mehr, das Klima ist unrettbar kaputt, die Politik schwenkt in Richtung Populismus.
Und da beschweren sich tatsächlich Leitungskräfte darüber, dass unsere Kinder keinen Sinn mehr in der Ausbeutung ihrer Lebenszeit und ihrer— Waschhaus (@waschhaus_weide) June 15, 2023
Lebensqualität für möglichst wenig Geld sehen? Dass sie lieber ein Stück Leben wollen, dass ihnen dann zumindest Zeit erlaubt, sich mit wirklich wichtigen Dingen zu befassen? Zum Beispiel mit Klimaschutz. Dass unsere Kinder sich wehren mit 40 den ersten Burn Out zu haben? Ich mag
— Waschhaus (@waschhaus_weide) June 15, 2023
diese Einstellung! Und von mir aus können sie ihre Arbeitszeit auf 5 Stunden die Woche runterbrechen. Dieses System ist kaputt.
Liebe Generation Z: weiter so!— Waschhaus (@waschhaus_weide) June 15, 2023
Das sagen andere User:
Tja, die Generation Z hat die Lügen des reinen Arbeitsethos durchschaut und strebt stattdessen nach einer ausgewogenen Lebensqualität. Diese Generation hat längst erkannt, dass materieller Wohlstand allein nicht das ultimative Ziel ist und dass es wichtig ist, Zeit für persönliche Entfaltung, soziale Beziehungen, seine Familie und gesellschaftliches Engagement zu haben. Statt sich ausschließlich auf den Erwerb von materiellen Gütern zu konzentrieren, setzen junge Menschen vermehrt auf Flexibilität, Sinnstiftung und Work-Life-Balance. Sie treten für gerechte Arbeitsbedingungen ein, suchen nach neuen Modellen des Wirtschaftens und streben eine Gesellschaft an, in der nicht nur harte Arbeit belohnt wird, sondern in der auch soziale Gerechtigkeit und individuelles Wohlbefinden Priorität haben.
Wenn ihr mögt, hinterlasst uns doch einen Kommentar, wie ihr das Ganze seht. Nachfolgend haben wir ein paar der treffendsten Antworten und Reaktionen der Leserinnen und Leser für euch gesammelt:
Was mich daran stört, ist der Gedanke, dass Arbeit nur Last ist. Warum unterstützt man die Gen nicht darin, einen Beruf zu finden, der Berufung ist. Den sie gerne machen.
Unbenommen bleibt es natürl jedem, weniger zu arbeiten & sich dann bei weniger Einkommen ggf einzuschränken
— Carola Schneider (@CarolaSch__) June 16, 2023
Meine Tochter ist Generation Z, hat einen Master einer internationalen Top-Uni, macht gerade den zweiten Master an einer anderen internationalen Top-Uni. Hat ihre Arbeitszeit auf 3 Tage reduziert, fürs Studium und wird in diesen 3 Tagen ausgebeutet und megaschlecht bezahlt. 🤷🏼♀️
— Ceryad 🏴 (@Ceryad1) June 16, 2023
Alle meine Kollegen kommen aus Großkanzleien und/oder haben mit Fachanwalt Kanzleien geführt.
60-80 Stunden. Plus Fahrtzeit.
Die Frauen UND Männer haben alle ihre Kinder nicht aufwachsen sehen.
Ich solle bloß nicht meine 30 Stunden Woche aufgeben und lieber reduzieren 😁
— Sandra Musterfrau Wagner (@SandraMusterfr) June 16, 2023
Genau das Thema hatte ich gestern mit einem älteren Patienten. Der sieht es gar nicht ein, dass die jungen Leute nicht buckeln wollen, sondern auf Lebensqualität achten, dass sie nicht Vollzeit, sondern Teilzeit arbeiten.
Aber was bleibt der Gen Z noch?— ฬђ๏שเ๏ (@who_vio) June 16, 2023
Bei meiner 1. Stelle 2002 waren ca. 1/4 der Belegschaft Praktikanten, oft schon mit Uni-Abschluss. Als ich meinen Sohn jetzt fragte, ob er nicht mal ein Praktikum machen will, meinte er „Ich geh doch nicht umsonst arbeiten“
— Emilie (@emilie4711) June 16, 2023
Absolut richtig!
Und es wurde auch mir in den späten 80ern und den 90ern noch erzählt, dass das Leben von Lohnzahlung zu Lohnzahlung genau das ist, worauf man sich ausrichten sollte.
Meine Kinder werden von mir garantiert etwas anderes lernen.— Anja K (@LeslieFenrin) June 16, 2023
Als Kind der Generation X kann ich das teilweise für meine Eltern bestätigen, nicht aber für mich. Konnte deine Beschreibung aber im nahen und weiten Umfeld genau so beobachten. Schöne Zusammenfassung.
— Ásagrimmr (@HejmdallrBackup) June 20, 2023
Das! Mein Mann hat neulich verständnislose Blicke von seinen Eltern geerntet, weil er gesagt hat, dass er überhaupt keine Lust hat die Karriereleiter bis ganz nach oben zu steigen. Weil ihm die Mehrarbeit das Geld nicht wert ist und dann keine/wenig Zeit für die Familie bliebe.
— Sophia (@muede_mum) June 16, 2023
Allerdings! Was meine Tochter heute digital in einer Stunde erarbeitet, dafür brauchte ich früher viele Stunden.
— Waschhaus (@waschhaus_weide) June 15, 2023
Perfekt beschrieben.
Mir gehen derzeit die „alten Säcke“ auf den Zeiger, die versuchen einen Konflikt der Generationen zu erzeugen.
Alle an einem Strang ziehend, nur so können wir etwas bewegen.— Oliver Oelkers (@OelkersOliver) June 16, 2023
Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit! Passend dazu hätten wir noch das: