Thread: Das letzte Bett
Die Lage ist ernst. Heute wurde mit 340,7 der zwölfte Inzidenz-Höchstwert in Folge gemessen.Die vierte Corona-Welle wird immer höher und höher. Die Hospitalisierungsinzidenz, also der Wert, wie viele Menschen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen wegen einer Corona-Infektion ins Krankenhaus kommen, lag gestern laut RKI bundesweit bei 5,3. Überschreitet dieser Wert die 3,0 muss in dem betroffenen Bundesland für Freizeiteinrichtungen, Kultur- und Sportveranstaltungen und Gastronomie flächendeckend 2G gelten. Nur noch vier Bundesländer liegen unter diesem Wert. In Bayern spitzt sich bereits jetzt die Lage auf den Intensivstationen dramatisch zu. Operationen müssen auf unbestimmte Zeit verschoben werden, die Verlegung von Patienten wird immer schwieriger. In anderen Bundesländern ist dieser Trend ebenfalls erkennbar. Trotzdem gibt es immer noch Menschen, die nicht glauben wollen, dass wir die Kapazitätsgrenzen bereits erreicht und teilweise sogar überschritten haben. Für eben diese Menschen ist der nun folgende Thread von @narkosedoc gedacht, der einfach und deutlich erklärt, warum wir uns in diesen Tagen niemals darauf verlassen sollten, dass am Ende noch ein Intensivbett frei ist.
„Das letzte Bett“ auf der Intensivstation.
Ein Thread.
Das „letzte Bett“ auf der Intensivstation ist ein sagenumwobener Mythos.
Stellt Euch eine Intesivstation vor. Alle Betten belegt. ⁰Der Einfachheit halber haben wir eine Intensivstation mit 4 Betten.— Intensivdoc (@narkosedoc) November 13, 2021
Bett 1 – 80 jähriger Mann, Prothesenwechsel, erheblicher Blutverlust, braucht noch Kreislaufmedikamente, Schmerztherapie, Mobilisation, Atemtraining u.v.m.
Bett 2- 50 jährige Frau, Darmverschluss, starke Schmerzen, Blutdruck knäpplich aber ohne Kreislaufunterstützung— Intensivdoc (@narkosedoc) November 13, 2021
Bett 3 – 50 Jahre männlich, großer Herzinfarkt, wurde vor zwei Stunden im Katheterlabor mit Stents versorgt, muss „nur“ überwacht werden
Bett 4 – 30 Jahre männlich, Motorradunfall, Beinamputation, Schädel-Hirn-Trauma, beatmet, massiver Blutverlust, Bluttransfusionen usw.— Intensivdoc (@narkosedoc) November 13, 2021
Instinktiv habt ihr gerade etwas gemacht, was oft unter „Triage“ zusammengefasst wird. Ihr habt priorisiert.
Unstrittig, dass der Patient in Bett 4 (Polytrauma) wesentlich kränker ist als die Patienten in Bett 2 und 3.
Bett 1 – 🟧
Bett 2 – 🟨
Bett 3 – 🟨
Bett 4 – 🟥— Intensivdoc (@narkosedoc) November 13, 2021
Der OP ruft an. Ein Patient MUSS rauf.
Verlegung nach extern – keine Option. By the way – keine Klinik muss einen „versorgten“ Patienten übernehmen.
Du hast kein Bett.
Du überlegst – wen verlege ich?— Intensivdoc (@narkosedoc) November 13, 2021
Patient in Bett 3 ist stabil, Blutdruck gut, Herzfrequenz normal, atmet selbst, hat keine Kreislaufunterstützung. Aber – er hat einen großen Herzinfarkt überlebt, frische Stents und ein hohes Risiko für erneute Herzrhythmusstörungen. Laut Leitlinie muss er 24h überwacht werden.
— Intensivdoc (@narkosedoc) November 13, 2021
Keine Chance. Du brauchst JETZT ein Bett.
Du verlegst den Pat. in Bett 3, machst ein paar Anweisungen an die Pflege (Telemetrie organisieren, Beobachtungsbogen, engmaschige Verlaufskontrolle, Zimmer in Sichtweite der Stationskanzel) und trotzdem weißt Du – das ist suboptimal.— Intensivdoc (@narkosedoc) November 13, 2021
Die Dame mit dem Darmverschluss benötigt jetzt auch Kreislaufunterstützung, die Leberwerte sind explodiert.
Deine Station sieht jetzt wie folgt aus:
Bett 1 – 🟧
Bett 2 – 🟧
Bett 3 – 🟥
Bett 4 – 🟥
Gleiche Intensiv, nach wie vor 4 Betten, aber deutlich mehr Arbeit.— Intensivdoc (@narkosedoc) November 13, 2021
Wir haben also ein Bett geschaffen, wo kein Bett mehr da war. Gab es also noch ein Bett?
Nein, gab es nicht.
Auf diese Art müssen wir ständig tricksen, wenn die Ressourcen knapp werden.
Eine Intensivstation ist nie ganz voll, man kann sie immer noch voller machen.— Intensivdoc (@narkosedoc) November 13, 2021
Indem die „gesündesten“ der schwerkranken Patient*innen auf die Normalstation verlegt werden und durch noch viel kritischere Patient*innen ersetzt werden.
Corona hat viele Pflegekräfte an die Grenze ihrer Belastbarkeit gebracht – und darüber hinaus.— Intensivdoc (@narkosedoc) November 13, 2021
Wir haben in der 1., 2. und 3. Welle so viele gute Leute verloren – die kommen nicht mehr wieder. Deshalb ist etwa 1 von 5 Intensivbetten in Deutschland die wir Anfang 2020 noch hatten jetzt nicht mehr betreibbar. Weil uns die Leute fehlen.
— Intensivdoc (@narkosedoc) November 13, 2021
Ohne Intensivpflegekräfte kann man keine Intensivmedizin machen.
Ungelernte Hilfskräfte sind nicht mal ein Tropfen auf den heißen Stein.
Auf der Intensivstation geht es nicht darum Tee zu kochen oder den Rücken einzucremen, sondern um eine hochkomplexe High-End-Medizin.— Intensivdoc (@narkosedoc) November 13, 2021
Die Schaffung von Intensivkapazitäten ist ohnehin der falsche Ansatz in der Bewältigung der Pandemie. Es wird immer ein Nadelöhr bleiben und es gilt zu verhindern, dass wir in diese Notsituationen kommen. ⁰Denn der Mangel an Intensivbetten schadet allen.
— Intensivdoc (@narkosedoc) November 13, 2021
In unserem Fallbeispiel mussten wir noch kein Intensivbett für COVID-Patienten abgeben. Das ist aber aktuell der Fall. Ein Viertel unserer Intensivkapazität wird von COVID-Patient*innen in Beschlag genommen. Diese Betten fehlen woanders.
— Intensivdoc (@narkosedoc) November 13, 2021
Und das geht uns alle an – ob geimpft oder ungeimpft.
Wir haben keine Kapazitäten mehr um Rücksicht auf die Unsolidarischen zu haben.
Deshalb #MaskeAuf auch in der Schule und überall in Innenräumen. 2G für Restaurants und andere Veranstaltungen, 3G für Supermärkte.— Intensivdoc (@narkosedoc) November 13, 2021
Das sagen andere User:
Einfacher und verständlicher kann man es eigentlich gar nicht erklären. Das sahen auch die Leser des Textes so. Ein paar der treffendsten Kommentare haben wir hier für euch zusammengetragen.
Tja, jetzt müssen die Menschen noch verstehen, dass das eine never ending Story ist, die Geschichte immer schneller erzählt wird und ach ja, der Pat. mit dem Infarkt, den du verlegt hattest, der wird gerade reanimiert …
— Lamento🏳️🌈💉💉💉 (@lamentoist) November 13, 2021
Sehr schön zusammengefasst, aber das werden die „aber es wurden ja xyz Betten abgebaut“ oder „dann stellt neue Leute ein“ Brüller nie verstehen wollen.
— Elyastorah #DieMaskeBleibtAuf (@Elyastorah) November 13, 2021
Ich will überhaupt kein Bett auf der ITS. Nicht mal in einem Krankenhaus…. -)
— Mitterju – ist im Home-Office (@mitterju89) November 13, 2021
Ich habe die Arbeit auf Intensivstation geliebt, ich habe dafür gebrannt, ich bin schlau und bilde mich gerne fort. Und ? DE hat mir diese Leidenschaft wegen scheiss Bedingungen genommen, deswegen bin ich lieber in Lux im Pflegeheim. Mit einem weinenden Auge.
— xxxxx (@Vikitae1) November 13, 2021
Meine Tochter ist 21 und liegt nach einer misslungenen Nierenbiopsie auf der Intensivstation. Wenn Leute sagen „Jetzt lieber nicht krank werden oder einen Unfall haben“ ist das zynisch. Nichts davon war geplant, man kann sich das nicht raussuchen. Ich sterbe vor Angst um sie.
— TaKasha (@ta_kasha) November 13, 2021
Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit. Bitte teilt diesen Beitrag oder erzählt es jedem, der die Problematik immer noch nicht verstanden hat. Passend dazu haben wir noch das hier für euch verlinkt: