Thread: Darf man Polizisten im Einsatz filmen?
Bei einer „Bündnis gegen Rechts“-Demo im Juli diesen Jahres in Kassel, kam es zu Personenkontrollen. Eine Frau und ein Rentner filmten dies, weil sie das Vorgehen der Polizei als ungewöhnlich hart empfanden. Der Frau wurde daraufhin das Handy abgenommen. Der Fall landete schlussendlich vor dem Landesgericht Kassel, das Mitte August ein Urteil gefällt hat. Reporter Marcus Engert hat darüber einen sehr informativen Thread geschrieben.
Immer wieder bekommen Menschen Ärger, weil sie Polizisten im Einsatz filmen. Darf man das? Darf deswegen das Smartphone beschlagnahmt werden, und wenn ja: Wie lange? Das LG Kassel hat hierzu geurteilt und der Beschluss enthält einige sehr interessante Sätze, darum: Thread 🙂
— ᴍᴀʀᴄᴜs ᴇɴɢᴇʀᴛ (@ENGERT) September 30, 2019
Zunächst: Was war geschehen?
Nach einer „Bündnis gegen Rechts“-Demo am 20.7. in Kassel kam es am HBF zu Personenkontrollen. Eine Frau und ein Rentner fanden die derart rabiat, dass sie die Kontrolle filmten. Der Frau wurde daraufhin das Handy abgenommen, sie wurde 45 Minuten >
— ᴍᴀʀᴄᴜs ᴇɴɢᴇʀᴛ (@ENGERT) September 30, 2019
festgehalten, ein Anwalt zu ihr nicht durchgelassen. Das Handy wurde beschlagnahmt, mit Rückgabe könne sie frühestens in 3-4 Monaten rechnen, hieß es.
Am 23.7. beantragte die StA beim AG die richterliche Bestätigung dieser Beschlagnahme. Als Gründe wurden der Verdacht einer >
— ᴍᴀʀᴄᴜs ᴇɴɢᴇʀᴛ (@ENGERT) September 30, 2019
1. Straftat nach § 33 Kunsturhebergesetz: Die Beamten fühlten sich im Recht am eigenen Bild (=ihr Gesicht) verletzt.
2. Straftat nach § 201 StGB: Vertraulichkeit des gesprochenen Wortes – die Beamten sagten, was sie bei der Personenkontrolle sagten, sei nicht-öffentlich.— ᴍᴀʀᴄᴜs ᴇɴɢᴇʀᴛ (@ENGERT) September 30, 2019
Background:
Lange hielt sich der Mythos, man dürfe Polizei gar nicht filmen – und Beamte auf Einsätzen warfen wild mit „Recht am eigenen Bild“ um sich. Dass das falsch ist, hat sich inzwischen herumgesprochen: Das KunstUrhG regelt das ‚Veröffentlichen‘, nicht das ‚Anfertigen‘.— ᴍᴀʀᴄᴜs ᴇɴɢᴇʀᴛ (@ENGERT) September 30, 2019
In der obergerichtlichen Rechtsprechung wird das Filmen und Fotografieren von Polizei i.d.R. als grundsätzlich zulässig betrachtet. Das Problem für Beamte und Polizeigewerkschaftler, die das unterbinden wollen, war nun also: Wie jemandem, der filmt, nachweisen, dass er auch >
— ᴍᴀʀᴄᴜs ᴇɴɢᴇʀᴛ (@ENGERT) September 30, 2019
veröffentlichen will? Und damit kam § 201 StGB in Mode: Was vertraulich, also nicht-öffentlich gesprochen wird, darf nicht verbreitet werden.
Wenn Polizei jemanden kontrolliert, festsetzt, befragt, so die nun beliebte Argumentation, dann darf das nicht an die Öffentlichkeit.
— ᴍᴀʀᴄᴜs ᴇɴɢᴇʀᴛ (@ENGERT) September 30, 2019
Und damit (und dank LG München im Feb) war fortan zwar Fotos machen weniger problematisch, Filmen aber deutlich mehr: Denn § 201 StGB verbietet schon das Anfertigen, nicht erst das Veröffentlichen.
Das LG Kassel sagt hierzu jetzt: Ganz so ultimativ darf man das nicht anwenden.
— ᴍᴀʀᴄᴜs ᴇɴɢᴇʀᴛ (@ENGERT) September 30, 2019
Es führt die „faktischen Öffentlichkeit“ ins Feld: Im konkreten Fall konnten etliche andere Menschen das „gesprochene Wort“ mithören, auch wenn sie weiter entfernt standen.
Doch das LG Kassel geht spannenderweise noch weiter: Selbst wenn die Situation doch als „nichtöffentlich“>
— ᴍᴀʀᴄᴜs ᴇɴɢᴇʀᴛ (@ENGERT) September 30, 2019
einzustufen gewesen wäre, sagt die Kammer: Wenn die Fragen der Polizisten „nur einen hinführenden Charakter ohne eigenen nennenswerten Erklärungsgehalt“ haben, bestimmt die Nichtöffentlichkeit nur noch der Befragte/Kontrollierte: Ist er einverstanden, greift § 201 StGB nicht mehr
— ᴍᴀʀᴄᴜs ᴇɴɢᴇʀᴛ (@ENGERT) September 30, 2019
Und dann macht das LG Kassel noch ein paar wichtige Bemerkungen zur Frage, ob, wann und wie lang Polizei Handys beschlagnahmen darf, mit denen sie zB auf Demos gefilmt wurde. Das Gericht sagt:
– Handys haben heute einen zentralen Stellenwert im Leben der Menschen und enthalten >— ᴍᴀʀᴄᴜs ᴇɴɢᴇʀᴛ (@ENGERT) September 30, 2019
eine Unmenge privater und diskreter Informationen
– sie dürfen schon deswegen nicht einfach wild ausgewertet werden, weil im Vergleich dazu ein Verstoß gegen §201 StGB eher gering ins Gewicht fiele
– außerdem darf das Telefon nicht so ohne Weiteres monatelang einbehalten werden— ᴍᴀʀᴄᴜs ᴇɴɢᴇʀᴛ (@ENGERT) September 30, 2019
Hier der Beschluss in voller Länge:https://t.co/ybzlZ0rjIq
/cc @Chr_Rath @tsingelnstein @amnestypolizei @grundrechte1 @sichpol @krim_rub @cobvl @rls2493
— ᴍᴀʀᴄᴜs ᴇɴɢᴇʀᴛ (@ENGERT) September 30, 2019
(Unschön übrigens: War arg verkürzt und damit mitunter richtiggehend falsch dieses Thema medial bearbeitet bzw. von Interessierten dort reinplatziert wird. Ein Beispiel zu diesem konkreten Fall: die @HNA_online titelte damals: „Passanten dürfen Polizisten nicht ungefragt filmen“
— ᴍᴀʀᴄᴜs ᴇɴɢᴇʀᴛ (@ENGERT) September 30, 2019
Das ist nicht nur im Allgemeinen, sondern auch im Konkreten falsch, daran ändern auch die Zitate von Polizeisprecher und Jurist im Text nix: https://t.co/woHC8JunVs )
— ᴍᴀʀᴄᴜs ᴇɴɢᴇʀᴛ (@ENGERT) September 30, 2019