Thread: Autismus und Kommunikation
Wie viele Gespräche habt ihr heute schon geführt?
Ein paar Worte mit den Kolleginnen, ein Kundentelefonat, ein Schnack mit dem Nachbarn, Diskussionen mit den Kindern, eine Bestellung im Buchladen… Je nach Arbeitsplatz und sozialer Vernetzung ist die Gesprächsliste unterschiedlich lang, doch sie wäre noch viel länger, wenn wir uns nicht auf Wortwechsel, sondern alle Arten des Austauschs beziehen würden.
Ein Grundsatz in der Kommunikationswissenschaft lautet: Man kann nicht nicht kommunizieren. Worte sind vielleicht der offensichtlichste Faktor zwischenmenschlichen Austauschs – und nicht immer gelingt es, sie eloquent aneinanderzusetzen. Aber nicht nur Worte übermitteln Informationen. Stimme und Tonlage zeigen unserem Gegenüber schnell, ob wir uns auf einer Wellenlänge bewegen. Mit Gesichtsausdruck und Körperhaltung können wir Drohungen aussenden, ohne ein einziges Wort zu verlieren. Wir nicken einander zu, wir drehen uns voneinander weg, wir wechseln die Straßenseite. Wir kratzen uns am Kopf, wenn wir überfordert sind, runzeln die Stirn, wenn uns etwas verwirrt, atmen schneller, weil uns etwas bewegt. Wir seufzen, blinzeln, kneifen sie Lippen zusammen, nästeln an unseren Fingerkuppen herum, lachen oder räuspern uns.
Das alles gehört zur Sprache und mit all diesen kleinen Eigenheiten senden wir Botschaften nach außen. Selbst ein Telefongespräch ist eine Flut von Informationen, die unser Gehirn verarbeitet. Unter Tausenden von Eindrücken sammelt es die für uns relevanten Inhalte heraus, interpretiert sie, filtert sie, sortiert sie und speichert sie ab.
Aber was ist, wenn genau das schwerfällt? Was bedeutet die These des Philosophen Wittgenstein „Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt“, wenn jemand Autismus hat und eben nicht in der Lage ist, bestimmte Sprachformen zu interpretieren?
Twitteruserin @Topfritte hat so eine Situation erlebt und mit ihren Followern geteilt.
Ich habe manchmal beruflich mit einer Frau zu tun, die ich immer als „sperrig“ und empfunden habe. Ich dachte, sie mag mich einfach nicht. Das hat mich sehr verunsichert.
Sie hat mir einen Termin eingestellt „telefonisch, Videokonferenz muss nicht sein“. Puh. Ich war nervös.— TopFritte (@Topfritte) September 1, 2020
„Frau Fritte, ich möchte über unsere Zusammenarbeit sprechen. Sie reden immer viel. Das ist sehr anstrengend für mich, da immer die wichtigen Sachinformationen rauszufiltern. Ich bin Autistin.“
„Ach so. Ich dachte, Sie hätten ein persönliches Problem mit mir.“— TopFritte (@Topfritte) September 1, 2020
„Ich kenne Sie ja gar nicht.“
„Hilft es, wenn ich den Smalltalk weglasse?“
„Sehr.“
„Alles klar.“
„Danke.“
Puh. Erleichtert 😅— TopFritte (@Topfritte) September 1, 2020
Die Frau hat mich immer sehr nervös gemacht. Sie hat echt was drauf u ich dachte, sie hält nix von mir, mag mich null u zeigt es einfach.
Wenn ich nervös bin, fange ich an zu quatschten. Mehr als sonst. Richtig, richtig viel. Ich plappere dann.
Gottseidank hat sie was gesagt!— TopFritte (@Topfritte) September 1, 2020
Das sagen andere Twitter-User:
wow. mein respekt an die frau, dass sie das so offen anspricht, weil es nicht funktioniert.
und respekt an dich, dass du es so… hmmm… angenommen hast. mir fällt kein besseres wort ein.
wird für beide das leben leichter machen.— Jana aus Bremen (@janaausbremen) September 1, 2020
Also ein sich selbst verstärkendes Problem,du bist nervös und redest deswegen mehr, für sie wird es schwerer und verhält sich entsprechend, was dich noch nervöser mach und du noch mer quatscht.
Und dann ist die Lösung doch so einfach… was ein paar klärende Worte bringen können— Schupunkt (@Schupunkt) September 1, 2020
Und wahrscheinlich war sie immer genauso „nervös“ um bloß nix Wichtiges zu überhören.
Wie schön dass jetzt Klarheit herrscht – und wahrscheinlich alle Beteiligten entspannter an die Zusammenarbeit ran gehen können— Mela Kunterbunt (@mela_kunterbunt) September 1, 2020
Auf solche Art und Weise Offenheit zu kommunizieren, ist so wichtig! Nur so können Unklarheiten beseitigt werden, die einem sonst im schlimmsten Fall den Beruf unnötig schwer machen.
— Blueky (@Blueky15) September 1, 2020
Kompliment an euch beide. Dir, weil du aufzeigst, was da los war und sie, weil sie sich getraut hat, zu sagen wo das Problem war.
Schönes Beispiel, was offene Kommunikation positives bewirken kann. Auf beiden Seiten.
— Renardii (@Renardii1) September 1, 2020