Mehr Fortschritt wagen: Der Koalitionsvertrag der Ampel
Das historische Bündnis zwischen SPD, Grünen und FDP steht. Die allererste Ampelkoalition auf Bundesebene unter einem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), einer Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), einem Finanzminister Christian Lindner (FDP) und einem Superminister für Wirtschaft und Klimaschutz, Robert Habeck (Grüne), wird Realität. Nach rund einem Monat geheimer Verhandlungen und Treffen präsentierte das neue Bündnis für „Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ gestern Nachmittag um 15 Uhr seinen Koalitionsvertrag. Und der hatte es in sich. Das Motto „Mehr Fortschritt wagen“ ist nicht nur eine hohle Phrase, sondern tatsächlich Leitspruch für den Aufbruch in ein neues politisches Zeitalter. In dieses führt der zukünftige Bundeskanzler Scholz seine „Koalition auf Augenhöhe“, deren Ziel es sei, gemeinsam „eine Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts“ erreichen, um „das Land besser zu machen“.
„Uns eint der Glaube an den Fortschritt“ sagte er einleitend und tatsächlich scheint sich dies auch in dem 177 Seiten langen Vertrag niederzuschlagen. Natürlich darf man nicht vergessen, dass es sich bei einem solchen Koalitionsvertrag um eine Absichtserklärung und Leitlinie handelt, die nicht in Stein gemeißelt ist. Viele Vorhaben scheitern oftmals an der Realität oder an einer fehlenden weiteren Legislaturperiode. Doch was man aus dem Ampel-Vertrag lesen kann, klingt nicht nur gut: Einiges wird sogar sofort umsetzbar sein und erscheint im Hinblick auf 16 Jahre unionsgeführte Regierung fast revolutionär.
Dass der Kohleausstieg „idealerweise“ auf das Jahr 2030 vorgezogen und die Technologie des Verbrennungsmotors auslaufen soll, wird sich zwar nicht sofort machen lassen, ebenso verhält es sich mit einem CO2-Mindestpreis auf europäischer Ebene, aber allein das Bekenntnis dazu markiert eine Zäsur in der deutschen Energie- und Verkehrspolitik. Stromkunden sollen dabei ebenfalls entlastet werden. Leichter hingegen wird die geplante Streichung des umstrittenen Abtreibungsparagrafen 219a sein, zur Erinnerung, das ist der Paragraf, der es Ärztinnen und Ärzten untersagt, Informationen zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen bereitzustellen. Der Koalitionsvertrag geht in seiner Formulierung sogar noch einen Schritt weiter und deutet eine grundlegende Veränderung an: „Schwangerschaftsabbrüche sollen Teil der ärztlichen Aus- und Weiterbildung sein. Die Möglichkeit zu kostenfreien Schwangerschaftsabbrüchen gehören zu einer verlässlichen Gesundheitsversorgung.“ Ebenfalls grundlegend verändernd wird auch die geplante Wahlrechtsreform werden, die es endlich auch Jugendlichen ab 16 Jahren gestatten soll, wählen zu dürfen. Ein Vorstoß, der in der Vergangenheit ebenso vehement von der Union blockiert wurde wie die „kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften“. Erfreulich sind auch die geplanten Änderungen, die das Leben von queeren Menschen betreffen, wie zum Beispiel die Abschaffung des Transsexuellengesetzes, das durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzt werden soll. Auch hier zeigt die Ampel eindrucksvoll, dass man in ein neues Zeitalter starten möchte.
Aus Zeitgründen können wir hier nicht auf alle Punkte des Koalitionsvertrages eingehen, aber zum jetzigen Zeitpunkt klingt das alles erstmal sehr positiv. Sicher, der Vertrag ist noch nicht unterschrieben und nicht alles wird so umsetzbar sein, aber nach 16 Jahren des Stillstands und des bleiernen Konservativismus darf man sich über den Regierungswechsel erstmal freuen. Es lässt einen sogar die Kröte schlucken, dass die FDP künftig das Finanz- und Verkehrsministerium führen wird. In einem wichtigen Punkt jedoch gibt es Anlass zur Kritik an dem neuen Regierungsbündnis. Denn gegen die dramatische Ausbreitung des Coronavirus wird es zunächst keine Sofortmaßnahmen geben. Man setzt hier lieber auf strukturelle und kommunikative Verbesserungen im Pandemiemangement. Da wäre es tatsächlich wünschenswert gewesen, die Ampel-Parteien hätten auf die scheidende Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gehört, die bei einem Treffen zuvor auf einen sofortigen Lockdown für Geimpfte und Ungeimpfte gedrängt haben soll.
In der Nikolauswoche soll Olaf Scholz (SPD) im Bundestag zum Kanzler gewählt werden. Doch zuvor muss der Koalitionsvertrag noch auf den Parteitagen von SPD und FDP und bei den Grünen in einer Mitgliederbefragung gebilligt werden. Wir haben die gestrige Vorstellung des Koalitionsvertrages auf Twitter für euch verfolgt und diese treffenden Tweets und Reaktionen dabei gesammelt.
#1: Hat nichts genützt
Um 15 Uhr stellen die Ampel-Parteien ihren #Koalitionsvertrag vor.
Armin Laschet stünde aber noch bis 14:55 Uhr für Koalitionsverhandlungen bereit.— ZDF heute-show (@heuteshow) November 24, 2021
#2: Ganz so schlimm ist es am Ende nicht geworden
15:00 Uhr Ampel-Parteien stellen ihren #Koalitionsvertrag vor
15:07 Uhr Applaus für den frühen Kohleausstieg
15:12 Uhr Jubel für die Legalisierung von Marihuana
15:17 Uhr Kollektive Katerstimmung als klar wird welche Ministerien die FDP kriegt
15:23 Uhr Twitter & Facebook brennen— Nicht Chevy Chase (@DrWaumiau) November 24, 2021
#3: Margarete war schon zu Beginn raus
wenn der Koalitionsvertrag nicht mit »sorry erstmal« anfängt bin ich raus
— Margarete Stokowski (@marga_owski) November 24, 2021
#4: Gestern war also Bad Hair Day
Wenn dir von SPD und Grünen die Haare zu Berge stehen, du aber immerhin Finanzminister wirst
— Fabian Köster (@koesterfabian) November 24, 2021
#5: Sekt hat sie zur Feier des Tages auch getrunken
Habt Ihrs schon gehört? #219a wird gestrichen. Das wäre also erledigt. Ich gehe jetzt impfen. #Lassdichimpfen
— Kristina Hänel (@haenel_kh) November 24, 2021
#6: Und an die Union gleich mit
– Wahlalter 16
– Cannabis legalisieren
– § 219 abschaffen
– Klima-Sofortprogramm
– Stärkung der Tarifbindung
– SelbstbestimmungsgesetzFür die einen ist es der #Koalitionsvertrag – für die anderen der längste Mittelfinger an „BILD“ und AfD der Welt.#MehrFortschrittWagen
— Marie von den Benken (@Regendelfin) November 24, 2021
#7: Bringt es sehr gut auf den Punkt
Meine Generation darf jetzt wählen, kiffen, sich über Abtreibung informieren lassen, selbst über ihr Geschlecht bestimmen… das ist alles schon ziemlich geil und gleichzeitig absurd, was die Union einem alles vorenthalten hat. #Koalitionsvertrag
— Fabian Albrecht (@originalbrecht) November 24, 2021
#8: *ZwinkerSmiley*
Der #Koalitionsvertrag und die Kabinettsbesetzung stehen fest. Wie man hört, soll die FDP zudem Schloss Sanssouci, Teile von Sylt und die Seele von Kevin Kühnert erhalten.
— Marius Mestermann (@DerMestermann) November 24, 2021
#9: #wirwollenKarl
Die Position des Gesundheitsministers soll vorerst wohl nicht besetzt werden. Die Ampel setzt da also auf Kontinuität. #Koalitionsvertrag
— extra3 (@extra3) November 24, 2021
#10: Wer hätte das für möglich gehalten
Eine Tatsache zum #Koalitionsvertrag : Es gibt keine Verschärfungen in den Bereichen Aufenthalt, Asyl und Integration, sogar viele Verbesserungen. Das erlebe ich von der deutschen Politik zum ersten Mal seit meiner Ankunft hier und werde es erstmal feiern.
— Tareq Alaows (@Tareq_Alaows) November 24, 2021
#11: Ein neues Zeitalter beginnt
Der #Koalitionsvertrag sieht unter anderem vor:
➡️ Aus für das Transsexuellengesetz, neues Selbstbestimmungsrecht
➡️ Regenbogenfamilien werden im Abstammungsrecht gleichgestellt
➡️ Aus für das Blutspendeverbot für MSM
➡️ Nat. Aktionsplan zum Schutz queerer Menschen (70 mio €)— Queerspiegel (@Queerspiegel) November 24, 2021
#12: Grüße gehen raus an Gorillas & Co.
Wer die Gründung und Arbeit von Betriebsräten unterdrückt bekommt es künftig mit der Staatsanwaltschaft und dem Strafrecht zu tun: „Die Behinderung der demokratischen Mitbestimmung stufen wir künftig als Offizialdelikt ein.“ (Zeile 2346) #MehrFortschrittwagen @spdde
— Hubertus Heil (@hubertus_heil) November 24, 2021
#13: Ging ein bisschen unter, aber wichtiges Detail
Aus vertraulicher Quelle weiß ich, dass Christian Lindner „Ganja“ sagt, während Olaf Scholz den geläufigeren Begriff „Weed“ verwendet.
— Tristan Herold (@dertristan1) November 24, 2021
#14: Endlich
Das hier ist ein kleines bisschen revolutionär. Bin gespannt auf die rechtliche Ausgestaltung und was das für §218 bedeutet:
„Die Möglichkeit zu kostenfreien Schwangerschaftsabbrüchen gehören zu einer verlässlichen Gesundheitsversorgung.“ 🎉 #koalitionsvertrag
— teresa bücker (@teresabuecker) November 24, 2021
#15: We want you
"Und dann machst du diese alberne amerikanische Zeigegeste, Olaf, ganz locker, die Leute mögen das."
— Boris Rosenkranz (@der_rosenkranz) November 24, 2021
#16: Zum Wohl!
🤩🤩🤩🤩Im Kühlschrank steht jetzt Champagner 🍾 🥂 für später. Dann stoße ich auf die Abschaffung des #Transsexuellengesetz es an. 🤩🤩🤩🤩 Danke 🙏 🚦🏳️⚧️🇪🇺🇩🇪🏳️🌈
— Georgine Kellermann🏳️⚧️🇪🇺🇩🇪🏳️🌈💉&💉&💉 (@GeorgineKellerm) November 24, 2021
#17: Berechtigter Einwand
Ich will nur sagen, dass der eine Typ auf diesem Foto, der eine Maske trägt, geeignet ist, eindeutige öffentliche Kommunikation während einer Pandemie zu leisten.#wirwollenKarl
— Marina Weisband (@Afelia) November 24, 2021
#18: Klimaschutz ist Handarbeit
🥲Wir haben gewonnen! Ich kann es kaum fassen. Ohne euch tolle Menschen aus der Klimabewegung wäre die Rettung meines Zuhauses niemals möglich gewesen. Von ganzem💛DANKE!
✊Und jetzt retten wir noch Lützerath vor den Kohlebaggern dieses widerlichen Konzerns.#Koalitionsvertrag— David Dresen (@david_dresen) November 24, 2021
Wo wir gerade bei guten Nachrichten sind, schaut doch hier mal rein: