Mehr Fortschritt wagen: Der Koalitionsvertrag der Ampel

Chris Schröder 25.11.2021, 8:50 Uhr

Das historische Bündnis zwischen SPD, Grünen und FDP steht. Die allererste Ampelkoalition auf Bundesebene unter einem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), einer Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), einem Finanzminister Christian Lindner (FDP) und einem Superminister für Wirtschaft und Klimaschutz, Robert Habeck (Grüne), wird Realität. Nach rund einem Monat geheimer Verhandlungen und Treffen präsentierte das neue Bündnis für „Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ gestern Nachmittag um 15 Uhr seinen Koalitionsvertrag. Und der hatte es in sich. Das Motto „Mehr Fortschritt wagen“ ist nicht nur eine hohle Phrase, sondern tatsächlich Leitspruch für den Aufbruch in ein neues politisches Zeitalter. In dieses führt der zukünftige Bundeskanzler Scholz seine „Koalition auf Augenhöhe“, deren Ziel es sei, gemeinsam „eine Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts“ erreichen, um „das Land besser zu machen“.

„Uns eint der Glaube an den Fortschritt“ sagte er einleitend und tatsächlich scheint sich dies auch in dem 177 Seiten langen Vertrag niederzuschlagen. Natürlich darf man nicht vergessen, dass es sich bei einem solchen Koalitionsvertrag um eine Absichtserklärung und Leitlinie handelt, die nicht in Stein gemeißelt ist. Viele Vorhaben scheitern oftmals an der Realität oder an einer fehlenden weiteren Legislaturperiode. Doch was man aus dem Ampel-Vertrag lesen kann, klingt nicht nur gut: Einiges wird sogar sofort umsetzbar sein und erscheint im Hinblick auf 16 Jahre unionsgeführte Regierung fast revolutionär.

Dass der Kohleausstieg „idealerweise“ auf das Jahr 2030 vorgezogen und die Technologie des Verbrennungsmotors auslaufen soll, wird sich zwar nicht sofort machen lassen, ebenso verhält es sich mit einem CO2-Mindestpreis auf europäischer Ebene, aber allein das Bekenntnis dazu markiert eine Zäsur in der deutschen Energie- und Verkehrspolitik. Stromkunden sollen dabei ebenfalls entlastet werden. Leichter hingegen wird die geplante Streichung des umstrittenen Abtreibungsparagrafen 219a sein, zur Erinnerung, das ist der Paragraf, der es Ärztinnen und Ärzten untersagt, Informationen zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen bereitzustellen. Der Koalitionsvertrag geht in seiner Formulierung sogar noch einen Schritt weiter und deutet eine grundlegende Veränderung an: „Schwangerschaftsabbrüche sollen Teil der ärztlichen Aus- und Weiterbildung sein. Die Möglichkeit zu kostenfreien Schwangerschaftsabbrüchen gehören zu einer verlässlichen Gesundheitsversorgung.“ Ebenfalls grundlegend verändernd wird auch die geplante Wahlrechtsreform werden, die es endlich auch Jugendlichen ab 16 Jahren gestatten soll, wählen zu dürfen. Ein Vorstoß, der in der Vergangenheit ebenso vehement von der Union blockiert wurde wie die „kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften“. Erfreulich sind auch die geplanten Änderungen, die das Leben von queeren Menschen betreffen, wie zum Beispiel die Abschaffung des Transsexuellengesetzes, das durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzt werden soll. Auch hier zeigt die Ampel eindrucksvoll, dass man in ein neues Zeitalter starten möchte.

Aus Zeitgründen können wir hier nicht auf alle Punkte des Koalitionsvertrages eingehen, aber zum jetzigen Zeitpunkt klingt das alles erstmal sehr positiv. Sicher, der Vertrag ist noch nicht unterschrieben und nicht alles wird so umsetzbar sein, aber nach 16 Jahren des Stillstands und des bleiernen Konservativismus darf man sich über den Regierungswechsel erstmal freuen. Es lässt einen sogar die Kröte schlucken, dass die FDP künftig das Finanz- und Verkehrsministerium führen wird. In einem wichtigen Punkt jedoch gibt es Anlass zur Kritik an dem neuen Regierungsbündnis. Denn gegen die dramatische Ausbreitung des Coronavirus wird es zunächst keine Sofortmaßnahmen geben. Man setzt hier lieber auf strukturelle und kommunikative Verbesserungen im Pandemiemangement. Da wäre es tatsächlich wünschenswert gewesen, die Ampel-Parteien hätten auf die scheidende Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gehört, die bei einem Treffen zuvor auf einen sofortigen Lockdown für Geimpfte und Ungeimpfte gedrängt haben soll.

In der Nikolauswoche soll Olaf Scholz (SPD) im Bundestag zum Kanzler gewählt werden. Doch zuvor muss der Koalitionsvertrag noch auf den Parteitagen von SPD und FDP und bei den Grünen in einer Mitgliederbefragung gebilligt werden. Wir haben die gestrige Vorstellung des Koalitionsvertrages auf Twitter für euch verfolgt und diese treffenden Tweets und Reaktionen dabei gesammelt.

#1: Hat nichts genützt

#2: Ganz so schlimm ist es am Ende nicht geworden

#3: Margarete war schon zu Beginn raus

#4: Gestern war also Bad Hair Day

#5: Sekt hat sie zur Feier des Tages auch getrunken

#6: Und an die Union gleich mit

#7: Bringt es sehr gut auf den Punkt

#8: *ZwinkerSmiley*

#9: #wirwollenKarl

#10: Wer hätte das für möglich gehalten

#11: Ein neues Zeitalter beginnt

#12: Grüße gehen raus an Gorillas & Co.

#13: Ging ein bisschen unter, aber wichtiges Detail

#14: Endlich

#15: We want you

#16: Zum Wohl!

#17: Berechtigter Einwand

#18: Klimaschutz ist Handarbeit

Wo wir gerade bei guten Nachrichten sind, schaut doch hier mal rein:

Thread: Eine Geschichte voller Hoffnung und Liebe

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