Die Geschichte des namenlosen Obdachlosen von Hamburg
Achtung: In diesem Beitrag wird der Tod eines Menschen thematisiert. Bitte passt auf euch auf.
Gemäß Schätzungen der globalen Datenbank Statista lebten im Jahr 2022 rund 600.000 wohnungslose Menschen Deutschland. Nicht alle leben auf der Straße. Manche von ihnen leben in temporären Unterbringungen, andere kommen bei Familie und Bekannten unter. Wieder andere tauchen nie in Statistiken auf, weil sie durchs System fallen. Aber wie man die Zahlen auch dreht und wendet: Jeder Mensch ohne Obdach ist zu viel. Immer wieder thematisieren wir diese unerträgliche Situation in unseren Beiträgen, weil wir aufrütteln und das Auge unserer privilegierten Gesellschaft schärfen möchten. Dabei fühlen auch wir uns ohnmächtig angesichts der traurigen Wahrheit, dass in jeder Stadt Menschen ohne Zuhause und ohne sichere Unterkunft am Rande der Gesellschaft existieren. Aber ein Blick aus dem Fenster in das kalte Wintergrau da draußen sagt eigentlich jedem von uns, dass da draußen kein Platz für Menschen ohne Obdach ist. Schon gar nicht, während uns die Bäuche noch weh tun vom Essen der Feiertage.
Ein Problem dieser Situation ist, dass Obdachlose oft nicht als Personen wie du und ich wahrgenommen werden, sondern als schwammige, charakterlose Existenzen allenfalls im Randbereich unseres Sichtfeldes existieren. Städte tun ihr Übriges, indem sie mittels feindlicher Architektur und Platzverweisen sichere Liegeplätze aus dem gut besuchten Innenstadtbereich verbannen. Dabei steht hinter jeder offenen Hand und schäbigen Matratze ein menschliches Schicksal. So wie im Falle des namenlosen Obdachlosen im Thread von Twitternutzer @SvenKoe.
Immer um diese Jahreszeit muss ich an jemanden denken, den ich kannte.
Ein Obdachloser in Hamburg. Ich hab damals während des Studiums in einem recht edlen Tabakladen gearbeitet. Er kam häufig kurz vor Ladenschluss, wenn’s nicht mehr so voll war,— Sven K (@SvenKoe) December 14, 2023
um sich eine einfache Zigarre zu schnorren. Die teuren wollte er nicht. Hat er immer bekommen, einen Kaffee auch, manchmal mehr. Irgendwie gehörte er zum Team, hat seine Geschichte erzählt, war so ein Ritual, dass er kurz vor Schluss reinschaut.
— Sven K (@SvenKoe) December 14, 2023
War ein gebildeter Mann, ein schwedischer Ingenieur. Irgendwann hat’s ihn umgehauen: Frau und Tochter tödlich verunglückt. Das hat ihn aus der Bahn geworfen, er hat sein bisheriges Leben verlassen und ist bewusst auf die Straße gegangen.
— Sven K (@SvenKoe) December 14, 2023
Er hat das mit Würde durchgezogen. Immer sauber, gepflegt, schöner Bart. Nur selten Alkohol, keine Zigaretten, lieber eine Zigarre am Abend. Irgendwann kam er nicht mehr, wir haben nachgefragt, uns umgehört.
— Sven K (@SvenKoe) December 14, 2023
Er ist erfroren. Mitten in Hamburg, in der Vorweihnachtszeit. Ich kenne seinen Namen nicht, er war nur „der alte Schwede“.
— Sven K (@SvenKoe) December 14, 2023
Reaktionen und Kommentare
Manchmal ist die Schere dieser Gesellschaft unerträglich. Da sitzen wir in unseren warmen Stuben und lesen vom Tod eines Menschen, den ein zufälliger Schicksalsschlag so sehr mitgenommen hat, dass er am Ende anonym auf der Straße lebte und dort verstarb. Die erschreckende Wahrheit ist, dass die Kluft zwischen uns und denen, die ohne Obdach sind, vielleicht gar nicht so groß ist. Auch wenn es uns Sicherheit gibt, genau so zu tun und diese Menschen nicht mal nach ihrem Namen zu fragen, obwohl dies sonst bei jeder Konversation die erste Frage ist. Die Geschichte des namenlosen Obdachlosen von Hamburg hat nicht nur uns berührt, sondern auch viele Lesenden auf Twitter. Wir haben ein paar der wichtigsten Reaktionen für euch festgehalten.
Sie sind Teil unserer Gesellschaft
Bei den meisten steckt ein Schicksalsschlag dahinter. Ein heißer Kaffee, eine alte Decke, der Schal, den daheim keiner mehr trägt, ein paar Handschuhe, usw. tun keinem weh, können aber im Zweifel über Leben und Tod entscheiden! Schaut hin und helft
— Nachtgeschöpfchen mit Miezchen (@Nachtgeschoepf1) December 15, 2023
Kennen wir nicht alle so jemanden?
Oh, ich hatte auch so einen in Hamburg. Er hieß „Opa.“ Ich habe auf dem Weg zur Arbeit jeden Morgen am Hbf mit ihm gefrühstückt. Irgendwann war er verschwunden 😥
— Krümel (@Bin_ein_kruemel) December 14, 2023
Davor ist niemand gefeit
Eine sehr traurige Geschichte, die hoffentlich den ein oder anderen zum Nachdenken bringt.
Jeder kann in diese Situation kommen. Es trifft nicht nur die anderen.
Das gilt auch für (chronische) Erkrankungen.— Ms. CCH 🕉 (@030Berlinerin) December 14, 2023
Es gibt Schicksale, die sind mal einfach Mist. Wir können uns, glaube ich, da nicht hineindenken.
— Sven K (@SvenKoe) December 14, 2023
Ja, genau – und deshalb sollte man auch immer vorsichtig mit vorschnellen Urteilen sein … überhaupt mit (ver-)urteilen
Danke für das Teilen der Geschichte
🫂— Thomas (Der Zweifler) (@kreutzer_1966) December 15, 2023
Bitte nachmachen
Finland hat die Obdachlosenzahl halbiert durch Housing First.
Ziel Null Obdachlose!
In Berlin gibt’s eine App für den Wärmebus und die Nachtasyle.
Hab ich aufm Handy seit ich Anfang Dezember nachts Polizei zu Hilfe gerufen habe wg Frau ohne Schlafsack bei minus 10°!
Tut weh!— Solveig Forsthoff (@SolveigForstho3) December 14, 2023
Zuletzt möchten wir euch mit einem Appell verabschieden. In jeder größeren Stadt gibt es Kältebusse, Obdachlosenhilfe oder andere Einrichtungen, die sich organisiert um diese Menschen kümmern. Sollte die körperliche Unversehrtheit in Gefahr sein, ist auch ein Anruf beim Rettungsdienst unter der 112 eine Option, besonders wenn Alkohol oder Drogen im Spiel sind. Ja, vielleicht kostet genau das Überwindung. Aber gerade jetzt im Winter kann es Leben retten, nicht wegzusehen und sich vor diesen Schicksalen zu verstecken. Lasst uns gemeinsam hinschauen und helfen.
Weitere Informationen gibt es im folgenden Beitrag: